Kommentar

Wie gehen wir mit Menschen um?

In politisch zugespitzten Zeiten - vornehmlich in Sachsen, wo die starke AfD-Vertretung im Parlament ab den nächsten Landtagswahlen gewiss ist - braucht es mehr politischen Diskurs. Aber können öffentliche politische Konflikte nur noch auf dem Kopf einer konkreten Person ausgefochten werden, an der sich die Wogen endlich gebrochen haben?

Datum

11.07.2019

Autor/in

Johanna Failer

Ich habe lange gezögert, mich zur Debatte um die HfBK-Bibliothekarin zu äußern, die bei den Kommunalwahlen in Meißen parteilos für die AfD kandidierte. Wir haben in meinem Umfeld viel miteinander gesprochen und das war gut. Es gab eine große politische Beteiligung an der HfBK und auch das ist gut.
An einen Artikel von Paul Scheffer, den ich vor Langem gelesen und noch herumliegen hatte, erinnerte mich während dieser Zeit. Ich kramte ihn also aus einer Kiste unter meinem Bett hervor und notierte mir folgendes:

„Wir können eine Sprache finden, die Gemeinschaft erzeugt. Wir müssen zunächst feststellen, dass es in einer offenen Gesellschaft nicht ausreicht, sich an die Gesetze zu halten. Denn man kann ja auch mit einer abweisenden Gesinnung die Gesetze äußerlich beachten. Es ist durchaus möglich, in einer offenen Gesellschaft mit einer sehr orthodoxen Religion oder Weltanschauung zu leben. In der Gesetzgebung gibt es nichts, das einen daran hindert zu sagen: »Ich habe ein Wahrheitsmonopol und ich verachte jeden, der nicht die gleiche Überzeugung teilt wie ich« – ganz gleich, worin diese Überzeugung besteht.“
(Scheffer, Paul: Migration und Integration - Wege zum „neuen Wir“, in: Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte. Ausgabe 12/2018. Online-Version )

Das Wahrheitsmonopol auf dem Traktor

Man kann die Gesetzgebung formal erfüllen und trotzdem eine ausgrenzende Haltung leben. Es reicht nicht zur Rechtfertigung, dass die AfD nicht verboten ist. Ihr ausgrenzender Diskurs läuft einer offenen Gesellschaft entgegen, in der jede_r die gleichen Rechte haben soll. Und jetzt drehen wir den Spieß um und lesen das Zitat nicht auf die ausgrenzenden AfD-Wähler_innen hin, sondern auf deren Gegner_innen. Die abweisenden Gesinnung, das „ich habe ein Wahrheitsmonopol und verachte jeden, der nicht die gleiche Überzeugung teilt wie ich“ - das kann man genauso auf der linken Seite erleben.

Schnell formulieren sich Antworten, die, mehr von kollektiver Euphorie getrieben als von präziser Überlegung, nach vorne preschen. Mit welcher Sicherheit jene, die auf dem Traktor sitzen, Kollateralschäden für die revolutionäre Idee rechtfertigen, ist erschreckend. Panisch muss irgendeine Aktion gemacht werden, man bestätigt sich gegenseitig im Gemeinschaftsgefühl - und fühlt sich besser als die dem Anschein nach Untätigen.

Ich bin dagegen für ein Recht auf Ratlosigkeit. Darauf, nicht sofort zu wissen, wie wir zu komplizierten Verhältnissen stehen sollen. Die Bedenkzeit ist heilig! Es ist übrigens noch nicht direkt Wahl. Man könnte über sinnvollere Maßnahmen nachdenken, z.B. schonmal das gesamte Hochschul-Budget für dieses Jahr ausgeben.

Wir können unsere Forderungen nur vortragen, wenn wir unsere eigene Integrität wahren.

Was wir fordern, müssen wir selbst leben. In der Form unseres Protests muss bereits sein Ziel, d.h. unsere Vorstellung des Zusammenlebens, verwirklicht sein. Wogegen wir einstehen müssen, ist gegen ausgrenzende Haltungen. Und zwar im täglichen Umgang! Es ist zu bequem, wenn wir schablonenhaft gegen formale Haltungen einstehen, wie Parteizugehörigkeit. Zuviel wird dabei ausgegrenzt. Ich habe in betreffenden Gesprächen oft den Satz gehört: „Die Tür ist nun in beide Richtungen zu.“ Das stimmt.

Warum wird davon ausgegangen, dass man nicht mehr miteinander reden kann? Stattdessen wird gemutmaßt, scharfgemacht und überrollt. Frau Lenk könne die Daten Studierender an die AfD ausliefern - die Unterstellung reicht, einen Menschen auszuliefern: an den Pranger, namentlich an die Medien. Frau Lenk wurde für ihre fachliche Qualifikation eingestellt. Die private politische Meinung geht uns nichts an. Jetzt kann man einwenden: „Eine Kandidatur macht sie aber zu öffentlichen Person.“ und: „Da die kulturpolitischen Ziele der HfBK und der AfD unvereinbar sind, muss eine Stellungnahme gefordert werden.“ Das ist richtig. Aber wir können das auf professioneller Ebene tun. Auf Augenhöhe. Nicht im Tribunal.

Wie gehen wir mit Menschen um?

Der einzelne Mensch kommt im kollektiven Eifer für eine Sache immer wieder unter die Räder. Das aber ist doch die eine fundamentale Frage: Wie gehen wir mit Menschen um? - Das zeigt unsere Haltung. Das zeigt unser Niveau. Wo das Misstrauen ausgebrochen ist, sind wir schon dem Zerfall geweiht.

Es gibt viele Gründe, die AfD zu wählen. Auch wenn wir keinen einzigen davon gut finden, müssen wir den Wähler_innen des rechten Lagers die gleiche Bandbreite an Überzeugungen und Gründen zutrauen, die wir in den eigenen Reihen finden. Wir müssen, als echte Demokraten, mit aller Kraft das Recht auf freie Meinungsäußerung genau derer verteidigen, deren Meinung uns gegen den Strich geht. Wir haben Rechte in der Kunst und Kultur. Aber wenn wir nicht die Verantwortung dafür übernehmen, die Rechte derjenigen zu verteidigen, die unsere Kunst und Kultur blöd finden, werden wir langfristig unsere eigene Freiheit verlieren.

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