Rezension

Uniquity Core - ID Pitch 3020

Das physische Sprechen über die Kunst

Datum

19.02.2020

Autor/in

Gyde Becker

Ausstellungsort

Galerie Brühlsche Terrasse

Performance

30. Januar 2020, jeweils um 20:00 Uhr und 20:30 Uhr

beteiligte Künstler_innen

Sergej Funke, Daniel Grahms, Hanna Kucera, Nari Jo, Theresa Rothe, Ernesto Rodriguez, Josefine Schulz, Theresa Tuffner, Anna Uddenberg

Fotos

Gyde Becker

Performance-Kunst prägt spätestens seit Anne Imhofs Goldenen Löwen das künstlerische Interesse und ist seit einigen Jahren eine häufig gesehene Praxis, im mittlerweile überschaubaren Kunstraum Dresdens.
Besonders Studierende der HfBK (Bildende Kunst, sowie Bühne und Kostüm) beteiligen sich zunehmend an der performativen Richtung. Unter schleppenden Bedingungen kommt dort nur langsam der Entscheid über die Nachfolge von Prof. Ulrike Grossarth zustande. Die sonst hochgelobte und als besondere Eckprofessur angepriesene Position, verblasst aktuell leider in der hinausgezögerten Findung einer Nachfolge. Eine zweite Runde Berufungsvorträge wurde Ende Januar anberaumt, obwohl man sich aus dem letzten Topf, mit wirklich hochkarätigen Künstler_innen, locker eine_n hätte auswählen können.
Über die Gründe der Uneinigkeit von Seiten der Prüfungskommission wird nach wie vor nur laut gemunkelt. Einen ganz offiziellen Grund gibt es aber bis heute nicht. Das stört besonders die jungen Studierenden der Hochschule, deren Meinung zur Nächstbesetzung immer wieder bedeutungslos abgetan wird.

Der dringende Bedarf eine Performance-Klasse weiterzuführen und das Interesse junger Studierender aufzugreifen, ist also bislang nur halbherzig wahrgenommen worden. Die Folge daraus ist beispielsweise die Gründung der studentischen Performance-Gruppe Freie.Performance.Praxis. Diese hat im Prinzip die fehlende Professur ersetzt, indem sie unter Eigenanleitung das Feld Performance erkundet und ganz selbstverständlich präsentiert hat. Als eine Art freie Klasse hat die Gruppe einen eindrücklichen Weg gefunden, eine Performance-Professur weiterhin einzufordern. Auch der von Beginn an große Zulauf in die Vertretungsklasse von Nevin Aladağ spricht für die Wichtigkeit dieser Professur.

... mit einem kleinen rosafarbenen Minitäschchen auf dem Rücken und umso größeren, übergestülpten Gummibrüsten...

Daher ist das Ergebnis des diesjährigen Workshops, ermöglicht durch die Liebelt-Stiftung Hamburg und unter der Leitung und ebenfalls Teilnahme von Anna Uddenberg, keine Überraschung. Nachdem die schwedische Künstlerin bereits im Dezember vergangen Jahres in einem Vortrag über ihr künstlerisches Schaffen berichtet hatte, findet am 30.01. eine Gruppenperformance mit acht jungen Studierenden der HfBK statt. Die Künstlerin ist ebenfalls Teil dieser Performance. Die Brühlsche Galerie wird für das Event genutzt und dementsprechend umgestaltet: beim Betreten des Raumes gerät man in eine Art festliches 08/15-Zelt. Häufig bei Gartenfeiern benutzt, ist es aufgrund seiner schlichten Aufmachung und überschaubaren Aufbauweise auch auf Messebesuchen gerade gut genug, um einen Unterstand für das gemeinsame Getränk am weißen Hussen zu bedienen. Besonders auffallend ist der lilafarbene Teppich, der sich über den Boden des Zeltes erstreckt. Am anderen Ende der Raum-im-Raum- Konstellation sieht man selbigen noch einmal an die hintere Wand projiziert.

Die Performance mit dem Titel Uniquity Core - ID Pitch 3020 beginnt pünktlich mit dem Einsetzen der Begleitmusik. Das erste gewichtige Problem, welches bei jeder Performance gegeben ist – der Anfang – ist schon mal ziemlich gut gelöst. Denn das Zelt ist so aufgebaut, dass es nicht an allen Wänden des Außenraumes anliegt. Auf einer der langen Wandseiten ist ein schmaler Gang frei gelassen worden, durch den die Performenden in das Zelt finden. Durch die Plastikfenster kann man bereits einen ersten unscharfen Blick auf die Charaktere werfen. Das sorgt bei vielen Gästen für ein bisschen erste Aufregung und die panische Suche nach dem Handy.

... ein Ausstellungsprogramm, welches den eigentlichen Kern im für uns nicht Sichtbaren trägt.

Die erste Performerin fährt auf Rollschuhen herein. Sie fährt entlang der gebildeten Schneise, die weißen Stelltische umschlängelnd, eine erste große Runde zum hintersten Tisch und bleibt dort kurz stehen. In kurzen Abständen folgt darauf der Rest der Gruppe, der sich ebenfalls in dem langen Zelt verteilt. Im folgenden ca. zehn minütigen Ablauf der Performance, wechseln die Performenden immer wieder ihre Position. Sie gehen immer wieder von Tisch zu Tisch, nehmen einander wahr, berühren sich teils beim Vorbeigehen, bleiben aber, als Charakter der sie sind, für sich. Die Musik gibt ein entsprechend strammes Schritttempo vor. Somit stehen die Augen niemals still, sondern verfolgen konzentriert die Abfolge der Performance. Ob die Performenden frei aufeinander reagieren oder ein bestimmtes System ablaufen, kann ich in dieser kurzen Zeit nicht ausmachen. Ich vermute aber ersteres, da es in dem engen Performance-Raum an manchen Stellen zu einem kleinen Stau kommt.

Was dem Kenner während des schnellen Zirkulierens dennoch auffallen mag, sind die Attribute der einzelnen Performenden: Nari Jo, überwiegend im Feld der Malerei tätig, trägt malerische Fragmente auf den Oberarmen, Hanna Kucera trägt einen weißen lackähnlichen Mantel, den ich ebenso als Material in einer ihrer skulpturalen Arbeiten vermuten würde. Daniel Grams hält während der Performance ein Objekt bei sich, das an seine selbst gebackenen Brotskulpturen erinnert und Theresa Rothe, im wahrscheinlich auffälligsten Kostüm, wird zu einer ihrer häufig aus weichen, fröhlich farbigen Stoffen zusammengenähten Kreaturen. Auch Theresa Tuffner flaniert, wie von einem ihrer eigenen transparenten Umhänge umschlungen, in einem hautfarbenen Kleid, schmuckbehangen und mit Perlen beklebtem Gesicht von Tisch zu Tisch. Anna Uddenberg wippt rhythmisch zur Musik, mit einem kleinen rosafarbenen Minitäschchen auf dem Rücken und umso größeren, übergestülpten Gummibrüsten, auf und ab. Sie scheinen sich allesamt mit ihrer zu spielenden Rolle zu identifizieren und sich sichtlich in dieser wohl zu fühlen.

Welches Outfit torpediert die jeweils anderen am effektivsten?

Diesen Eindruck transportieren besonders die Performerinnen mithilfe ihrer selbstbewussten Körpersprache. Diese ist im Vergleich zu ihren Kollegen wesentlich selbstsicherer und „in der Rolle“. Das mag möglicherweise daran liegen, dass einige Teilnehmerinnen bereits eigene Erfahrungen in Sachen Performance gemacht haben. So ist es keine Überraschung, dass Josefine Schulz, mit Blondhaarperücke und pinkem Cow-Girl-Hut, unaufgeregt und cool an den filmenden Gästen vorbei läuft und zielgerichtet auf den nächsten Tisch zusteuert, an dem sie einige Sekunden stehen bleibt. Konträr dazu scheint Ernesto Rodriguez während der zwei Performance- Durchläufe überhaupt in gar keiner Rolle zu stecken.
Die Maske, die um seinen Hals hängt, trägt die Mimik, die der Künstler selbst nicht bedienen kann. Diese hat zwar ein ähnliches Schmunzeln im Gesicht, ist in ihrer Beschaffenheit als Maske aber trotzdem starr. So hätte sie Rodriguez´ stets auffälliges Grinsen durch ihre eigene bewegungslose Mimik überdecken können. Rodriguez scheint von der Performance selbst so angetan und begeistert zu sein, dass er sein Interesse am Treiben der Anderen und deren Kostümen kaum ausser Augen zu lassen vermag. Auch Daniel Grams, obwohl er unter einer Maske versteckt ist, scheint eher durch den Raum zu hasten und wirkt nicht annähernd so gelassen, wie seine Kolleginnen. Sergej Funke, unter einem auffallend riesigen Schafskopf steckend, bleibt für den Moment ebenso anonym, bringt aber auch kein weiteres Merkmal hervor, das die Betrachtenden dazu zwingt ihren Blick auf ihm haften zu lassen. Das ist, dank der starken Performerinnen, kein gesamtheitlicher Störfaktor, ist in dieser Gruppenkonstellation dennoch sehr auffällig. Und so macht es am Ende wesentlich mehr Spaß den Performerinnen in ihren fantastisch eigensinnigen Kostümen nachzuschauen.

Die Sehnsucht nach ein paar erklärenden Worten mag dementsprechend groß sein.

Diese Uniqueness, welche die Gruppe transportiert, mündet in einem bunten Gewusel aus eigenartigen und fast schon übersteuerten Charakteren. Das Einzigartige, getragen in Form von Kleidung, die bei jeder_m sehr stark an die eigene Arbeit erinnert, stellt hier ganz frech die Frage in den Raum, wer am Ende als most unique den Raum verlassen wird. Welches Outfit torpediert die jeweils anderen am effektivsten? Denn das Spiel und die Inszenierung einer solchen Einzigartigkeit, angepeitscht vom rauen Wesen des Kunstmarktes und denjenigen, die ihn mitbestimmen, reicht schon seit Jahren bis hin zum Reden über die Kunst. So haben sich die Workshop-Teilnehmer_innen mit eben dieser Sprache beschäftigt, „IAE - International Art English“. (1)

Diese Sprache hat sich binnen Jahrzehnten geformt und lässt die Lesenden im besten Fall schmunzelnd zurück. Im schlechtesten Fall führt sie dazu, dass Pressetexte, z.B. ausgehändigt von Gallerien, gar nicht mehr gelesen zu werden.(2) Zu unverständlich, zu hochtrabend mögen manche Texte klingen. Die eigentliche Bedeutung, also das Kunst-Vokabular, zu durchdringen würde den gleichen Aufwand bedeuten, den man für die Kunst selbst benötigt. Die Sehnsucht nach ein paar erklärenden Worten mag dementsprechend groß sein – nicht nur für “Externe“.

Ich möchte sie gerne noch ein drittes oder viertes Mal sehen. Meinetwegen auch den ganzen Abend.

Und so formt schon der Titel etwas, das er vielleicht gar nicht ist oder zumindest nicht sein muss. Vielleicht ist der Titel und das gesamte Drumherum genauso irritierend und überspitzt inszeniert, wie es auch die besagten Künstler_innentexte sind. Die Performance ist nämlich dahingehend sehr exklusiv. Die Besucher_innen stehen unbeteiligt am Rand, niemand würde sich trauen, jetzt noch kurz zur anderen Seite des Raumes zu wechseln und dabei den Performenden im Weg zu stehen. Man kann also gewissermaßen bloß mutmaßen, was die (Körper)sprache der Charaktere sagt, ehe man dankend einen Hinweis entgegen nimmt und sich nicht mehr in einer allzu devoten Haltung vor die Kunst begibt. Ich hoffe allerdings nicht, dass die Gruppe aus reiner Willkür gehandelt und in letzter Minute den Ablauf zusammen gestellt hat. Die ausgewählten Kostüme verneinen immerhin diese Willkür.

Die Kostüme sind das eindeutige Non-plus-Ultra der Performance und im Nachhinein das, was hängen bleibt. Ich habe auch in der Nachbetrachtung noch das Gefühl, dass der eigentliche Ablauf der Brillanz der Kostüme nicht gerecht wird. Das liegt vor allem an der Vorstellung, die ich irgendwie schon im Vorhinein habe. Die Vorbilder für heutige Performance-Kunst sind nämlich dementsprechend prägend: Maria Hassabi und Anne Imhof scheinen derzeit besonders präzise Abläufe und Bewegungsbilder zu formen. Sich derer zu bedienen ist schlussendlich das Reagieren auf derzeitige Strömungen. Was gefällt, wird benutzt und in den meisten Fällen abgewandelt. Leider ist der Ablauf von Uniquity Core folglich etwas vorhersehbar und erinnert in seiner Stop-and-Go-Handlung eben auch sehr stark an Schulz´ Welcome To My Crib (2017) und Ultra Raw (2019).

Das sorgt bei vielen Gästen für ein bisschen erste Aufregung und die panische Suche nach dem Handy.

Vielleicht bleibe ich deswegen etwas ruhelos zurück und möchte gerne hinter das Zelt zu den Performenden kriechen, um sie kurz nach ihrem Verschwinden wieder nach vorne zu holen. Ich möchte sie gerne noch ein drittes oder viertes Mal sehen. Meinetwegen auch den ganzen Abend. Aber dann auch irgendwie mit mehr, beziehungsweise anderen Abläufen. Während die Besucher_innen klatschen, hoffe ich wirklich auf eine Rückkehr, so etwas wie einen zweiten Akt.

Über all dieser Kritik steht aber natürlich trotzdem die Tatsache, dass es sich schlussendlich nur um einen Workshop handelt. Eine Gruppe junger Studierender findet zusammen und stellt – binnen weniger Wochen – ein Ausstellungsprogramm zusammen, welches den eigentlichen Kern im für uns nicht Sichtbaren trägt. Denn die gemeinsamen Übungen, welche die Gruppe durchgeführt hat, erfährt man nicht unbedingt aus der Live-Performance, sondern eher durch direkte Nachfrage bei den Performenden. So hat wahrscheinlich jede_r für sich neue Erkenntnisse gesammelt und stellt diese bei ihrer/seiner nächsten Performance vor. Vielleicht ja auch mit einem bewusst netten Grinsen im Gesicht.

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(1) https://www.canopycanopycanopy.com/contents/international_art_english

(2) https://www.theguardian.com/artanddesign/2013/jan/27/users-guide-international-art-english Die Ausstellung ist bis zum 02.02.2020 geöffnet.

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