Rezension

Über die Anstößigkeit von Flachware

Auf Eröffnungen wird selten kritisiert. Nichts scheint schlechter zu harmonieren als Diskurs und Sekt. Das hat mit Höflichkeit zu tun, den Gästen, den Veranstalter_innen und den Künstler_innen gegenüber. Letztere machen sich, als Zentrum ihrer Werke, in diesem Moment immerhin besonders angreifbar.

Datum

27.03.2020

Autor/in

Gyde Becker

Ausstellung

Tabula Rosa

Künstlerin

Wiebke Herrmann

Ausstellungsort

Stadtarchiv Dresden

Ausstellungsdauer

3.3.-24.5.2020

Allerdings geht es auch immer um die Frage, welche Reize eigentlich geboten werden, bzw. auf welche man anspringt. Denn es lässt sich natürlich nicht verneinen, dass es Besuchende gibt, die eine Arbeit oder auch mehrere anstandslos als (sehr) gut empfinden. Aber nach langem Nicht-Reden über die (eigene) Kunst, fragt man sich am Ende doch: ist das jetzt alles einfach gut oder nur völlig belanglos?

So war auch die Eröffnung der Künstlerin Wiebke Herrmann, Tabula Rosa, eine wohl gesonnene Veranstaltung ohne Potenzial für Reibungen. So schien es zumindest und lässt Herrmann selbst etwas verdutzt zurück. Denn sie selbst hätte Potenzial gesehen. Aber dazu später mehr.
Die Ausstellung findet auf Einladung des Stadtarchivs Dresden hin statt und umfasst eine beeindruckende Anzahl an Bildern, die in dem niedrigen Raum mit vielen Fenstern dennoch Platz zum Atmen finden, um direkt in die Malersprache einzusteigen. 26 Arbeiten unterschiedlicherFormate beinhaltet die Ausstellung, die planmäßig bis Ende Mai laufen sollte.*

*Aufgrund der aktuellen Umstände, ist die Ausstellung Tabula Rosa nicht zu besuchen

Die Vernissage beginnt klassisch mit einer Rede des einladenden Archivdirektors, Herr Prof. Thomas Kübler: Danksagung, Beglückwünschung und die sichtbare Freude über die Zusage Herrmanns an das Stadtarchiv. Daraufhin folgt John Hinnerk Pahl, Kunsthistoriker und Redakteur bei The Artinspector, der nun im Anschluss einige ihrer Arbeiten für die Zuhörenden fein säuberlich seziert. Zum Schluss redet die Künstlerin selbst noch einige Worte, in einer gewohnt eloquenten Art und ist dabei einen Hauch mitreißender, als ihre beiden Vorredner. Die Ausstellung ist eröffnet.

Die ältesten Arbeiten der Ausstellung sind von 2016 und reichen bis zu den aktuellsten aus 2020, was verdeutlicht, dass die Künstlerin bereits Anfang des Jahres noch einiges für die Ausstellung erarbeitet hat. Die Vier-Jahres-Spanne umfasst das serielle Arbeiten besonders gut und lässt an manchen Stellen den malerischen Entwicklungsprozess deutlich werden.

Als aufhellende, kleine Charaktere funktionieren sie gut.

Die Ausstellung an sich folgt auf den ersten Blick keinem besonderen Konzept. Die Bilder hängen bewusst und gewollt an ihrem Platz, erzählen uns aber keine sich aufdrängende Geschichte. Daraus ergibt sich eine oberflächliche Bildnachbarschaft, deren Zusammenhalt aber doch über einige Ecken gespannt werden kann. Denn die Bilder schaffen einige Wiedererkennungswerte: Mensch und Tier umsäumende Bänder, Teppiche, Stoffe, Vasen, manches ernst, manches albern. Einige Ideen scheinen schnell umgesetzt. Es sind jene, die eher als eine Art Gimmick auftreten. Diese finden sich beispielsweise in gemeinsamer Runde mit Supersüßer Hase mit Gänseblümchen (2019), Duckface (2018) oder Stella III (2018). Diese in der Regel eher kleinen Formate sind, laut Aussage Herrmanns, nicht zu ernst zu nehmen und sollten daher nicht überinterpretiert werden.
Als aufhellende, kleine Charaktere funktionieren sie gut.

Ein jedoch ernst gemeintes, am Ende aber als nette Idee abzuwinkendes Anliegen Herrmanns ist es, drei verfügbare Vitrinen zu bestücken. Als Malerin ist sie sich ihrer ausschließlichen Flachware bewusst, sucht aber nach einer anderen Form der allgemein künstlerischen, vor allem aber malerischen Umsetzung.

Flachware bleibt aber Flachware, auch wenn man sie in eine Vitrine legt.

Ich verstehe den Gedanken der Künstlerin, dreidimensionale Objekte bestücken zu wollen, zu entfremden, vielleicht umzudeuten. Flachware bleibt aber Flachware, auch wenn man sie in eine Vitrine legt. Zumal ein Teppich beispielsweise ein eher untypisches Vitrinenobjekt ist. Die Teppichmalereien auf den Boden zu legen wäre möglicherweise eine konsequente Überlegung gewesen, allerdings nicht weniger plakativ, als sie in einer Vitrine einzubetten. Kurzum: die Arbeiten Tabula Rosa (2019) und Tabula Rosa II (2020) gewinnen keine neue Funktion in ihrer wagerechten Haltung und haben somit auch inhaltlich nichts dazu gewonnen.

Herrmanns Stärken: die Inszenierung von Oberflächen.

Wohingegen Tableau (2020) dafür aber überraschend gut funktioniert. Allerdings nicht, weil die darauf abgebildeten Ming Vasen unter dem Glasdeckel zu tatsächlichen Objekten werden oder diese gar simulieren, sondern weil der Blick auf das „von oben“ gemalte Bild, als Draufsicht in der Vitrine komplett verzerrt wird und man sich somit das Bild räumlich erarbeiten muss.
Das Abschreiten der vier Seiten wird ein wenig erzwungen, um den Umfang des Bildes zu begreifen. Die Arbeit hat zwar einen typischen Aufbau (das Tableau liegt zentral, während unter ihm eine knitterige Tischdecke an den Rändern zur Leinwand unterschiedlich breiteAbstände lässt), zeigt aber Herrmanns Stärken: die Inszenierung von Oberflächen.
In fokussierter Kleinstarbeit scheint sie jede abgebildete Vase genau untersucht zu haben. Das gilt z.B. dem Lichteinfall, der Oberfläche, dem Glanz. Die gruppierten Vasen bekommen also nicht durch die Vitrine, sondern durch die malerische Umsetzung ihre Objekthaftigkeit zugesprochen. Eine Vitrine kann eine Malerei nicht in ein dreidimensionales Objekt verwandeln. Das kann nur der/die Künstler_in selbst, indem sie/er das Objekt versteht und uns etwas darstellt, das es gar nicht ist: etwas körperlich Erfahrbares.

Es ist demnach zu erwarten, dass Herrmann weder ein süßes Kaninchen, noch ein ausgewachsenes Pferd in ihrem Atelier beherbergt, um diese täglich zu untersuchen, die Bewegungen zu verstehen, das Fell zu streifen und seine Oberfläche zu spüren. Daher scheint die Umsetzung ihrer Vasen logischer in Hinblick auf das Verständnis des Objektes, weil es einfach verfügbar ist.

Die Vase ist einfach riesig!

Die besondere Hingabe an das Objekt Vase ist nämlich allgemein sehr auffällig und in der Bandbreite an Arbeiten fast schon überpräsent. Mehrmals vorkommend, strahlt diese besondere Zuneigung, entgegen einiger anderer Arbeiten, deutlich mehr Kraft aus. In kleinen bis mittleren Formaten finden sich Ming Vasen unterschiedlichen Typs, abgestellt auf monochromen Flächen, ersatzweise als Kopf eingesetzt oder auf einem Hintern platziert. Einzig und allein das Riesenformat Miracle (2020) scheint dann doch etwas zu viel gewollt.

An der Stelle lässt sich nämlich besonders die malerische Praxis und ihr nötiges Objekt- und Raumverständnis bebildern – im wahrsten Sinne. Die malerisch umschmeichelten Vasen funktionieren in ihrer kleinen Form und zwischen den allgemein recht großen Arbeiten Herrmanns als schnell begriffenes Sujet.
Bei Miracle müssen sich die Betrachtenden das bekannte Objektaber komplett neu erschließen. Die Vase ist einfach riesig! Sich eben diese Riesenvase räumlich, bildlich oder inhaltlich neu zu erschließen, ist sicherlich nicht für jede_n eine Herausforderung, da nicht für jede_n von Bedarf.

Diese Herausforderung gilt aber nicht weniger der Künstlerin selbst. Denn ob Zeichnung, Fotografie, Material, Objekt – die Fragestellung steckt viel eher in der Übertragung der Originalgröße in ein neues Format, welches im Fall Herrmanns eben ein besonders großes ist. Hier geht dann leider jeglicher Objektzauber verloren.

Der vordergründig aufgewirbelte Stoff erleichtert das Bild und entnimmt dem Hintergrund seine detaillierte Strenge.

Einige Bilder wirken daher etwas zu entschieden gemalt und sind sehr statisch, wie z.B."Hommage an M." (2019), in dem sämtliche Tiefen farblich verloren gehen und dessen dargestellte Personen von einem grauen Schleier umzogen wirken. Anders als "Der Stoffhändler" aus selbigem Jahr.
Hier offenbart sich zwar ein anderer Farbkanon, die Farb- und Flächensetzung ist dennoch erkennbar großzügiger und lockerer gesetzt. Der vordergründig aufgewirbelte Stoff erleichtert das Bild und nimmt dem Hintergrund seine detaillierte Strenge. Diese unterschiedlichen Qualitätsmerkmale lassen sich möglicherweise auf den Arbeitsprozess der Künstlerin zurückführen. Die Arbeiten entstehen immer Stück für Stück. Jedes Element der Arbeit – Tier, Mensch, Objekt – wird nacheinander angebracht. Somit verwandelt sich nicht nur das Gesamtwerk Herrmanns in eine alle Arbeiten umfassende Serie, sondern jedes Bild (mit all seinen kleinen Schattierungen, Lichteinfällen, Haarsträhnen, Falten) erfährt für sich eine konzentrierte Aufmerksamkeit und wird zu einer Mini-Serie. Das führt zu sichtbaren Unterschieden.

Es entsteht also insgesamt eine Zusammenstellung von Bildern, die an manchen Stellen den Kampf der Künstlerin mit dem Medium Malerei eindrucksvoll zeigt.

An dieser Stelle entsteht automatisch die Frage, ob die Künstlerin eine Arbeit auch mal als nicht gut genug einstuft. Denn bei einem so seriell gestalteten Arbeitsprozess, erscheint es offensichtlich, dass es Unterschiede geben muss – natürlich!

Interessant ist also, ob die Künstlerin mit dieser Entscheidung spielt, indem sie sich dieser Unterschiede bewusst ist und diese selbstbewusst anerkennt, aber nicht versteckt. Es entsteht also insgesamt eine Zusammenstellung von Bildern, die an manchen Stellen den Kampf der Künstlerin mit dem Medium Malerei eindrucksvoll zeigt. Das Darstellen von Haaren und Stofffalten hat sich Herrmann über die Jahre hinweg mühsam erarbeitet. Mühsam beinhaltet: verzweifelt, genervt, entmutigt, aber irgendwann eben doch willensstark und mit einem konkretenZiel vor Augen – Ich will das können!

Dennoch ist Malerei das womöglich undankbarste Medium,wenn es darum geht, das eigene (noch!-)nicht-Können, zu vertuschen. Die Leinwand zeigt uns den Zustand, an dem der/die Künstler_in malerisch gerade scheitert. Denn es gibt kein haptisches Entfernen und wieder Anbringen einer Farbschicht. Klar, der feuchte Öllappen entfernt so einige Schichten. Im Anschluss wird diese aber nur durch ewige Konzentration und Willen wiederaufgetragen.

Die Leinwand zeigt uns immer den Zustand, an dem der oder die Künstler_in malerisch gerade scheitert.

Diese Überlegungen lassen sich nun gesamtheitlich mit dem Anfang des Textes verknüpfen und der Hoffnung auf Kritik, Diskussion und Reibung. Es gibt sie nämlich, ganz klar. Aber nicht unbedingt dort, wo Wiebke Herrmann und ihr Redner John Hinnerk Pahl sie vermutet hatten.

Letzterer hätte an dieser Stelle, immerhin als Redender über die Kunst, die gewünschte Reibung einfach selbst erzeugen können. So geht er in seiner Rede zwar auf die Arbeiten ein, die so prominent in Vitrinen untergebracht sind: die Teppiche. Besondere Bezüge auf die heute ständig präsenten Fragen fehlen allerdings: was eignen wir uns an? Wie viel Wissen reicht aus, um sich diesem bestimmten Thema anzunehmen? Überlässt man nur noch denen das Feld, die von Geburt an mit einem bestimmten Umstand in Verbindung stehen und wird man damit Mitgefährder_in und Verneinende_r der Kunstfreiheit?

Und wenn es nicht um die Frage geht, ob man das überhaupt darf, dann geht es um die Frage, mit welcher Begründung man das schlussendlich macht.

Oberflächlich als „orientalische Teppiche“ beschrieben, hat man immerhin sofort ein Bild im Kopf, das genaue Herkunftsland ist vielen – mich eingeschlossen – aber häufig überhaupt nicht klar. Das scheint in Anbetracht der nicht inhaltsgebundenen Verwendung aber auch nicht weiter wichtig zusein. Ich glaube Herrmann hat ein ehrliches Interesse an der Optik und der Beschaffenheit derTeppiche. Allerdings wird dieses Interesse nicht immer reichen und die Frage im Raum stehenlassen müssen, warum man sich eigentlich für die Bebilderung eines Sujets entscheidet? Diese Entscheidung wird allerdings nicht dramatischer, wenn Pahl aus dem Koran zitiert. Das ist schließlich nichts Anstößiges und eigentlich genauso unspektakulär wie ein Bibelzitat.
Und wennes nicht um die Frage geht, ob man das überhaupt darf, dann geht es um die Frage, mit welcher Begründung man das schlussendlich macht.

Kann ein geschichtlich gebundenes Objekt in einer Malerei als reinerDekor herhalten, wenn es so viel mehr zu sagen gäbe, als dass es bloße Schönheit in der Malerei zu finden gibt? Und kann man sich das, nur um das Bild bestehen zu lassen, einfach so aus den Fingern saugen? Diese Fragen sind im Übrigen auch auf die Ming Vasen übertragbar.

Die Verantwortung, diese Charaktereigenschaften herauszuarbeiten, liegt im Nachhinein nicht ausschließlich bei der Künstlerin selbst.

Was der jeweils inhaltliche Aspekt der Künstlerin Wiebke Herrmann ist, wird nicht aus jedem Bild erkennbar oder nachvollziehbar. Viele Themen wirken angeschnitten, als wirklich durchgearbeitet. Es scheint als suche Herrmann einen losen Anhaltspunkt, um die zahlreichen Bildideen, die sie täglich mit sich trägt, nieder zu malen. Das ist legitim, weil es der Malerei eben etwas zugesteht, mit dem die Künstlerin so oder so arbeitet: fiktive Bildräume, Tiere und Menschen, deren Zusammenhalt nicht immer eindeutig über die gewählte Bildsprache zuverstehen ist.

Aber das ist Malerei, in all ihren unzähligen Möglichkeiten: objektiv, subjektiv, plakativ, unterschwellig, kritisch, kitschig, politisch oder völlig plump zu sein. Und die Verantwortung, diese Charaktereigenschaften herauszuarbeiten, liegt im Nachhinein nicht ausschließlich bei der Künstlerin selbst. Dafür sitzen wir am anderen Ende, sind plötzlich Empfänger und reden mit, diskutieren und ärgern uns, verbal oder schriftlich.
In diesem Sinne: Please share!

www.wiebkeherrmann.de

Wiebke Herrmann auf Instagram

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