Rezension

Superphysical

Fünf Künstlerinnen aus Dresden, davon drei Meisterschülerinnen meines eigenen Professors (ich kam also nicht ganz unvoreingenommen) versammeln ihre Positionen in den engen und verwinkelten Räumen, die zum Teil im Keller liegen.

Datum

06.07.2019

Autor/in

Elise Beutner

Ausstellungsort

Galerie drei

Ausstellungstitel

superphysical

KünstlerInnen

Yvonne Engelhardt, Dominique Hille, Amelie Hüneke, Maria Morgenstern, Ruth Unger

Ausstellungsdauer

22.06. – 27.07.2019

Der längste Tag des Jahres 2019 war schwül, und die Luft in den Galerieräumen der Dresdner Sezession so dick, dass der eigene Schweiß sich erfolglos bemühte zu verdunsten. Umso überraschender der stetige Besucherstrom zu der Ausstellungseröffnung „superphysical“.

Mein erster Eindruck ist der einer gesetzten Ausstellung – seriös, keine Provokation, nichts Plattes, nichts Illustratives, es geht um Ästhetik in ihrer reinsten, ursprünglichsten Form. Trotz fünf sehr unterschiedlicher Ansätze herrscht eine unterschwellige Einstimmigkeit, oder auch: Harmonie. Ich kenne Menschen im Kunstbetrieb, die die Abwesenheit von toxischen Egos und Profilneurosen als Frauenkunst bezeichnen. Ich möchte es eine sich selbst bewusste Konzentration nennen, die sich von Grenzkämpfen mit dem Außen unbeeindruckt zeigt.

Alle fünf Künstlerinnen untersuchen.

Ruth Unger untersucht in bildhauerischen und grafischen Arbeiten ihre Umgebung auf Form und Oberfläche, spielerisch und energisch zugleich. Maria Katharina Morgenstern hat im intensiven Materialstudium ihre ganz individuelle Technik der Tuschemalerei entwickelt. Yvonne Engelhardt arbeitet performativ und mit der sinnlichen Erfahrung des eigenen Körpers, übersetzt seine essentielle Wesenheiten in Videos, Fotos und Objekte. Dominique Hilles Bildwelten erzählen eine figürliche Hintergrundstory aus Emotionen, Gefühlen und archetypischen Erinnerungen zu den formalen Untersuchungen der anderen.

Amelie Hünecke tritt als einzige aus dieser extrem engen Verflechtung heraus, vor allem, da ihre neuen Arbeiten stechendere Farben und weniger feinstufig abgestimmte Bildwelten präsentieren als jene, die ich vor ihrem Umzug nach Leipzig gesehen habe. Ich erkenne einen neuen, relativ scharfen Unterton in einem mir ansonsten wohlvertrauten Werk. Interessant.

Alle Positionen verfolgen konsequent und scheinbar frei von äußeren Provokationen ihren eigenen Weg

Manche Arbeiten kann ich nicht auf den ersten Blick einer Künstlerin zuordnen – diese Momente schlagen Brücken zwischen den anderen, klar voneinander abgegrenzten Arbeiten. Zu den „Brücken“ zählen zum Beispiel die extravaganten kleinen Rahmen, die aus Dominique Hille Fotos Objekte machen – sie treten aus dem schwarz-weißen Bilderkosmos vor der Linse aus und in die Realität hinein, denn die Rahmen sind zufällige Fundstücke in Beziehung zum Entstehungsort der Fotos. Metallformen an der Wand könnten auf den ersten Blick ebenfalls von Ruth Unger oder Yvonne Engelhardt stammen, sind aber ein Produkt von Maria Katharina Morgensterns Arbeitsprozess. Im letzten Kellerraum bearbeitet Yvonne Engelhardt scheinbar das Sortiment eines Sanitätshauses – eine Brücke zu Ruth Ungers Begegnungen mit Alltagsgegenständen, wenn auch aus anderer Richtung.

Diese Brücken leisten einerseits ihren Beitrag zur harmonischen Gesamtatmosphäre, da es ganz klar einen gemeinsamen Geist gibt - und andererseits beweisen sie, dass die Künstlerinnen ihre Positionen entwickeln konnten ohne dem merkantilen Zwang zum Branding der eigenen Kunst zu erliegen. Alle Positionen verfolgen konsequent und scheinbar frei von äußeren Provokationen ihren eigenen Weg. Keine Künstlerin sucht den offenen Konflikt, die Reibung, die Konfrontation. Allen geht es um Verfeinerung, Verdichtung, Erkundung.

Es gibt Stimmen, die Kunst zu Waffen machen wollen, auf dass sie sich selbst verteidige, wenn ihre demokratischen Schutzpatronen versagen.

Am Ende des letzten Ganges verlangsamt sich mein Schritt, wie meine Gedanken, zu einem Wandeln.
Als wenn ein sehr lauter Güterzug vorbeifährt und es danach eine Weile dauert, bis durch die dröhnende Stille das Rauschen von Baumkronen zu hören ist. Die letzten Wochen waren geprägt von scharfen Debatten um die aktuelle politische Situation in Dresden, und diese wiederum gefärbt von Angst, Spaltung und zunehmender Erregung. Ich habe mehr Zeit über politische Kunst diskutiert als in den neun Jahren zuvor. Junge Künstler liegen im Wettstreit, welche die beste Antwort auf die akute Bedrohung der Kunstfreiheit in Sachsen ist. Es gibt Stimmen, die Kunst zu Waffen machen wollen, auf dass sie sich selbst verteidige, wenn ihre demokratischen Schutzpatronen versagen.

Ich empfinde diese Schnittmenge von fünf, jeweils für sich souveräne Positionen, als eine Atempause, als die kraftvollste Wirkung, die Kunst in diesen Tagen auf mich haben kann. Das Unpolitische wird politisch, wenn es unbeirrbar seine eigene Wirksamkeit einfordert – und sich weigert, die Verbindung zu seiner eigenen Quelle auch nur für eine Sekunde zu kappen. Debatten sind wichtig, Kämpfe sind wichtig, aber die wahre Kraft der Kunst liegt in ihrer Freiheit des Seins - und auch ihre Verfechter sollten sich dafür hüten, diese Freiheit zu beschneiden um sie in ihrem Sinne zu beschützen.

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