Rezension

Rage

Die Ausstellung „Rage“ bringt zwei Künstlerinnen zusammen, die auf verschiedene Weise ähnlichen Fragen nachgehen. Beide Positionen harmonieren und ergänzen sich, und man bekommt den Eindruck, dass Anna Nero in den spezifischen Qualitäten der Malerei ausführt, was Layla Nabi in den spezifischen Eigenschaften von Bildhauerei tut.

Datum

19.06.2019

Autor/in

Johanna Failer

Künstlerinnen

Anna Nero und Layla Nabi

Ausstellungsort

Stephanie Kelly

Ausstellungstitel

Rage

Ausstellungsdauer

11.- 8.6.2019

Was mich sofort einnimmt, sind die Malereien an der rechten Wand "Jetlag (with happy End)", "Querulant", "Smoker" - Anna Nero schafft eine Bildsprache, die unglaublich zeitgenössisch ist, ohne oberflächlich zu sein. Glatt sind die Malereien, immer wieder jedoch durch pastosen Auftrag gebrochen. Schichten, Abklebungen, präzise Kanten und immer wieder ein Aufblinken des Gestischen; spielerisch und dann wieder streng. Die Farben sind kräftig oder pastellfarben, Flächiges trifft auf glatte Farbübergänge, die an Computerspiel-Ästhetik erinnern oder an hippe Hochglanz-Magazine. Und dabei ist es immer vor allem eines: ganz Malerei. Eine Malerei, die sich immer auch selbst befragt, während sie Fragen anstößt, die unser modernes, digitalisiertes Leben betreffen.

Bilder einer Welt, mit der ich mich durchaus identifiziere - schmunzelnd und gleichzeitig angewidert.

In Neros Malerei wie in ihrer Thematik sind Strenge und ihr Bruch Leitmotive: Papierkram machen müssen aber auch Youtube-Videos und andere Gadgets zur Hand haben, die die furchtbare Ernsthaftigkeit lösen, dabei in ihrer Unwichtigkeit und Erscheinung selbst furchtbar sind. „Playing Office“, „Jetlag“, „Verwaltungskrake“ und „Tinder“ - diese Titel gehören zu einer Welt, mit der ich mich durchaus identifiziere - schmunzelnd und gleichzeitig angewidert. Angewidert am meisten durch die Tatsache, dass bestimmte Systeme für uns alle in dieser postmodernen Generation so selbstverständlich ist, dass es eigentlich gar nicht aufstößt.

Das kann auch in Anbetracht von Layla Nabis Skulpturen passieren, vor allem bei „earrings entering their natural habitat“, auf die ich gleich eingehen werde. Die Arbeiten „secret treasure hunting expander“ und „Stelle“ sehe ich dagegen eher unter formalen Aspekten. „Stelle“ nimmt die Form einer Tanksäule auf und ist glänzend rot, gelb, weiß und schwarz lackiert. Im Umrunden der Skulptur habe ich plötzlich keine der vorherigen Assoziationen zu einer durchstrukturierten Welt, in der sich der Mensch überflüssig vorkommt. Die Tankstelle könnte ja zu dieser Welt gehören. Sie ist aber - als „Stelle“ - losgelöst von der formgebenden Idee. Sie ist aus dem Alltag gelöste, in etwas anderes übersetzte Form - und vor allem ungemein schön.

Der natürliche Habitat des Ohrrings wie des Menschen: einengend und nur scheinbar natürlich.

„Earrings entering their natural habitat“ besteht aus einem schwarzen Gummilappen auf Präsentationshalterung, durch den zwei eindeutig als Ohrhänger erkennbare, ineinander verschweißte Stahlringe gesteckt sind. Wie in jedem beliebigen Modeschmuckladen hängen sie da. Entfremdet durch enorme Vergrößerung, wie bei Claes Oldenburg, nicht jedoch wie bei diesem weiß und weich, sondern in ihrer Latex-Stahl-Optik die aggressive Komponente betonend. Rage angesichts eines populären Musters, dem man sich, den Weg des geringsten Widerstandes wählend, so geschmeidig einfügen kann. Wir Menschen sind gemeint mit dem Ohrringpaar, das sich in ein scheinbar natürliches Habitat begibt, das einengt. Es gibt in diesem Habitat Flughäfen, die mit glamourösen Boutiquen und Preisen ein mondänes Gefühl suggerieren und trotzdem nerven. Es gibt Ohrringe, die sich wirklich jede Frau leisten kann, es gibt Sportgeräte, Raucherecken, Wartemarken, Einwegprodukte, Trash und Unterhaltung.

Die Konsum- und Shoppingwelt, die Welt des Verwaltungsapparats und die der digitalen Strukturierung unserer sozialen Beziehungen durch Instagram, Tinder und eine kollektive Internetkultur - alle drei Ebenen verschmelzen zu einer einizigen Umgebung, deren Lebensfeindlichkeit gerade in ihrer Absurdität vor Augen tritt. Warum das genau so ist und nicht anders, und wie sehr wir selbst in dieser postmodernen Welt aufgehen, inwiefern wir sie gleichzeitig lieben und verachten - das sind Fragen, die die Arbeiten von Layla Nabi und Anna Nero anregen können, aber nicht müssen. Man kann sich auch einfach an einem visuellen und räumlichen Erlebnis der Ausstellung freuen.
Und doch - manchmal fehlt mir etwas bei jener Kunst, die mir so ungeheuer zeitgenössisch und cool erscheint. Wer cool ist, hält sich am Ende doch bedeckt. Es ist die spielerische (oft ironisierende) Distanz, die der Kunst ihre erfrischende Leichtigkeit verleiht - und eines subjektiv-narrativen Anspruchs entbehrt. Die Kühle und Glätte ist immer auch eine Schranke. Man muss sich nicht verletzlich machen (und tatsächlich muss man das auch gar nicht.) Ich aber vermisse in der glatten Schönheit und Kühle den Riss, der aus dem Bewusstsein um die Fragilität des Menschen erwächst, der zu sich selbst und zu den anderen kommt in seinen besten und schlechtesten Momenten. Dort geht es ans Eingemachte. Dieser subjektive Anspruch lässt sich nicht aus der Distanz erreichen. Man muss sich die Hände schmutzig machen. Und es muss sicher etwas weh tun.
Aber das sind meine eigenen Maßstäbe.

Es ist gerechtfertigt, einen inhaltlichen Rahmen aufzuspannen, aus dem die Werke wahrscheinlich nicht in erster Linie entstanden sind. Ich bin sogar dankbar darum.

Michel Klipphahns Ausstellungstext eröffnet ein weiteres Panorama, indem er den Ausstellungstitel „Rage“ auf die strukturelle Organisation unseres alltäglichen Lebens hin interpretiert. Es ist gerechtfertigt, einen inhaltlichen Rahmen aufzuspannen, aus dem die Werke wahrscheinlich nicht in erster Linie entstanden sind. Ich bin sogar dankbar darum - denn was wäre die Alternative? Ein autodeskriptiver Text über das Gezeigte, über Materialität und formale Fragen? Vielmehr ist der Ausstellungstext ein Zusatz, den ich dankbar annehme. Der Text ist eine Interpretation; eine Sichtweise, die nicht nachträglich zu theoretisieren versucht, sondern den Blick erweitert - sofern sie als solche gelesen wird. Und sofern man sich eine freie Übersetzung des ein oder anderen Satzes zurechtgelegt hat. „So integrieren ihre Arbeiten einen Modus des historischen Verständnisses, der über die methodische, selektive Amnesie der zeitgenössischen kapitalistischen Kultur hinausgeht und in eine Zukünftigkeit verweist, die zwischen der Archaik partiell dystopischer Dinghaftigkeit und der glatten produktionsästhetischen Optik merkantiler Objekte laviert“ - ich verstehe das nicht und ich argwöhne, dass es niemand versteht.

Vielleicht ist die thematisierte Verwaltungskrake mit ihrem Verwaltungsdeutsch doch nicht so weit entfernt von der Ausstellungskrake mit der ihr eigenen Sprache und Struktur, die uns so selbstverständlich vertraut ist, dass wir eben nicht in Rage geraten, wie der Text suggeriert, sondern stumpf hinnehmen, was uns vorgesetzt wird, wie einer, der sich ein gutes Buch mit aufs Arbeitsamt genommen hat und keine Seite zu lesen schafft, weil ihm das zermürbende Dasitzen und einfach nur seine Nummer abwarten angenehmer wird. Aber ja, doch, die Wut ist da. Über vieles, was nunmal so ist und auch über die eigene Resignation. Diese Wut findet kein Ventil in dieser glatten Welt. Kein Ausraster, keine Ohrfeige. Die emotionale Unzulänglichkeit unserer Generation wird in der Ausstellung ironisch vor Augen geführt. Mit einem Bein drin und einem draußen. Als Teil dieser Ordnung und zugleich aus kritischer Distanz.

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