Kommentar

Demon's Brain - ein Lanzenbruch

Leserbrief an die Berliner Zeitung bezüglich der Ausstellung »Demon's Brain«, von Agniezska Polska im Hamburger Bahnhof

Datum

03.10.2018

Autor/in

Elise Beutner

Ausstellungstitel

Demon's Brain

Ort

Hamburger Bahnhof, Berlin

Künstlerin

Agniezska Polska

Ausstellungszeitraum

27.09.2018 - 03.03.2019

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wende mich in diesem Leserbrief an Sie, da ich die Rezension zu Agnieszka Polskas Ausstellung »Demon's Brain« von Arno Widmann in der Ausgabe 29./30.09 nicht so stehen lassen konnte – dabei war ich selbst auf den ersten Blick nicht unbedingt eingenommen von der Mehrkanal-Videoinstallation im Hamburger Bahnhof. Eine große formale Schwäche der Arbeit ist, dass sie trotz ihrer Dimensionen keinerlei Beziehung zu der Architektur der ehemaligen Bahnhofshalle aufnimmt – die auf einer Achse angeordneten Leinwände negieren die noch größeren Ausmaße des Raumes, schotten sich ab, statt ihn einzubeziehen. Der Betrachter verliert sich in der Dunkelheit dazwischen, doppelt hängen gelassen von den Videosequenzen, die zu kurz sind um seinen Blick zu verankern. Er schweift umher, relativ schnell wiederholen sich die Bilder, man meint, alles gesehen zu haben – und ist: enttäuscht.

Bis hierhin hatten Herr Widman und ich kein so unterschiedliches Ausstellungserlebnis.

Allerdings denke ich, der Erkenntnisgewinn des Betrachters basiert zum größeren Teil auf seinen eigenen Anstrengungen als denen des Künstlers. Während Herr Widman von schier jedem Aspekt dieser Arbeit, vom Titel bis zum Pressebrief, schwer gelangweilt zu sein scheint, bin ich überzeugt, dass Missfallen an einem Kunstwerk eine viel interessantere Auseinandersetzung erzeugt, als schlichter Beifall es je könnte. Ratlosigkeit im Angesicht der Kunst ist wie die Lustlosgkeit vor der morgendlichen Joggingrunde – zu erwarten und nicht zu ernst zu nehmen. Beides ist ein aktiver Prozess. Wohl wahr – der theorethische Unterbau, den die Künstlerin dem Werk voranstellt, hätte ihr ein Warnsignal sein müssen: viel gedruckte Hintergrundinformationen werden niemals eine schwache Umsetzung retten.
Auch ich habe mich erschlagen und belehrt gefühlt von zuviel vorweggenommener Deutung und didaktischer Kapitalismuskritik.

Eine Identifikation könnte hier stattfinden, die einen Weg in die Arbeit bietet.

Aber ein vernichtender Kommentar verlangt in meinen Augen eine gewissen Ernsthaftigkeit, der sich Herr Widman mit einer Reihe lakonischer Kommentare (»Auswahl der Jury [...] ganz offensichtlich zu klug für mich« - Anlass der Ausstellung war der Preis der Nationalgalerie) vollständig entzieht. Er verlässt die Ebene des Vorbeigehenden nicht. Sonst wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass die Informationsflut am Ausstellungsbeginn, die das Phänomen der zerstörerischen Salzminen-Wirtschaft Serafins mit so ziemlich jedem Problem unserer heutigen Zeit (künstliche Intelligenz, Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung) assoziiert, den Betrachter erwartbar in ein Gefühl der Machtlosigkeit und Überforderung stürzt. Ganz wie den mittelalterlichen Boten, dem er einen Moment später ins Gesicht sieht. Allein im nächtlichen Wald, im Auftrag eines skrupellosen Herrn, mit einem toten Pferd und einer verwirrenden Stimme aus dem Dunkeln. Sein hochaufgelöstes, übergroßes, makellos-junges Gesicht in der Farbbrillianz, die wir selbst erst seit einigen Jahren aus der Film- und Werbeindustrie kennen, begegnet uns mit Tränen der Zerrissenheit und Verzweiflung. Eine Identifikation könnte hier stattfinden, die einen Weg in die Arbeit bietet.
In eine Arbeit, die die kurzen Filmclips auf Youtube zitiert, die Optik von Videospielen (Endlosfahrt durch einen Stollen), romantische Landschaftsaufnahmen, wie solche, mit denen wir uns ein Bild von unserer Erde zu verschaffen pflegen, ohnmächtig, ihr Schicksal eigenhändig zu beeinflussen. Alles zusammengeworfen mit jenen animierten Spielereien, die in ähnlicher Form unsere Chatverläufe mit Gifs und Stickern schmücken.

Die Arbeit erzählt eine Geschichte über das 15. Jahrhundert, mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts.

Ist diese Installation unsympathisch, wenig inhaltsreich, erzählerisch schwach – so hält sie uns auch einen Spiegel unserer eigenen Wahrnehmung vor. Einer Welt aus Trailern, Snapchats, auseinandergerissenen Sätzen, einer immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne. Inhaltlich geht es um die Frage der Verantwortung: Beide, Besucher und Bote, sind verstrickt in die Systeme ihrer Epoche, tragen als Akteure zu deren Problemen bei – und stehen dennoch mehr oder weniger machtlos im Dunkeln.
Im Jetzt ziehen wir dennoch Kunst vor, die unser Spiegelbild schönt, uns das Gefühl gibt, in einer achtsameren Kultur zu leben als der jener knappen, verfremdeten Inhalte sozialer Medien. Aber diese konstruieren unsere Wirklichkeit, sie machen sogar Politik – und sie machen eben auch Kunst.

Polskas bildnerische Mittel sind ein Spiegelbild unserer digitalen Realität.

Nicht nur die abgeholzte Ödnis schlägt eine Brücke vom mittelalterlichen Setting ins Jetzt – auch hochaufgelöste, schnell geschnittene Bilder, die wir hoffnungungslos versuchen zu wirklichen Erzählungen zu verknüpfen. Auch mit diesen Gedanken im Hinterkopf finde ich die Arbeit nicht vollkommen gelungen, aber sie hat mir drei bis vier gute Gespräche und einige Stunden intensiven Nachdenkens beschert. Keine schlechte Bilanz für zwanzig Minuten Kunst.
Ebenso ist der Titel »Demon's Brain« keine, wie von Herrn Widmann angenommen, sinnlose, hippe Wortschöpfung in der »Sprache des Kunstmarktes«, sondern referiert auf die Hintergrundprogramme (»Demons«) die in Computersystemen ablaufen und auf die der Nutzer heutzutage meist keinen Zugriff mehr hat.

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