Rezension

Gute Arbeit! - und zwei kleine Zweifel

In der Ausstellung »dresses & trees« waren vom 15.03. - 05.05.2019 im Projektraum Neue Galerie der Städtischen Galerie Arbeiten der Hegenbarth*-Stipendiaten Jan Kunze und Grit Aulitzky zu sehen. Mein Fazit: Gute Arbeit! Und zwei kleine Zweifel.

Datum

14.05.2019

Autor/in

Johanna Failer

Ausstellungstitel

Dresses & trees

Künstler*innen

Jan Kunze und Grit Aulitzky, Hegenbarth Stipendiaten 2017

Ausstellungsort

Projektraum Neue Galerie, Städtische Galerie

Ausstellungszeitraum

15.03. - 05.05.2019

Beim Hereintreten eine Überraschung: große Stoffbahnen von unterschiedlicher Beschaffenheit und Farbe führen entlang der Wand in den Raum. Darauf zeigen handwerklich ausgeführte Siebdrucke in Raster zerlegte Kleider, die aussehen wie aus einem Modelexikon vergangener Jahrhunderte. Jan Kunzes Serie »Early Roman Kings« ist nicht nur eine Überraschung innerhalb von Kunzes Werk, von dem wir Sackstoff, Ölporträts von Bösen und Guten, Panzer, Bleistift auf Papier und Atombombe kennen. Eine Überraschung kann die Serie auch für jene sein, die mit Kunzes Arbeit nicht vertraut sind: eine durchdachte und sorgfältig ausgeführte textile Arbeit, noch dazu - hallo Geschlechterklischees! - von einem Mann gemacht, hätte man im Dunstkreis der HfBK einfach nicht erwartet.

Dem Ausstellungstext kann ich dann entnehmen, dass die Arbeit auf einem zufällig gefundenen US-Modeheft von 2004 beruht, das die Bekleidungen von 42 Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie deren Gattinnen als Aquarelle zeigt. Jan Kunze führt »(…) die Bildvorlage auf ihre Punkte und Raster und damit die imperiale Geste auf ihre reine Form zurück«.
Dass es um herrschaftliche Repräsentationskritik geht, das sehe ich - auch ohne Text. Aber ob es einen Mehrwert darstellt, zu wissen, dass es sich um US-Amerikanische Präsidentschaftsbekleidung handelt und warum die Reihe „Early Roman Kings“ heißt (nach einem Song von Bob Dylan), das weiß ich nicht.

.. was Kleiderformen über machtpolitische Strategien aussagen und was sie verbergen.

Ja, man sieht , in Anbetracht der Stoffe, der Siebdrucke auf Papier und der Collage, dass es darum geht, was Produkte der visuellen Kultur - hier: die Kleidung der höchsten politischen Kaste - über machtpolitische Strategien aussagen und was sie verbergen. Was ich nicht gesehen hätte, ist, dass das jüngere Geschichte ist, dass die schwülstigen Kleider nicht aus dem Barock stammen, sondern aus dem weißen Haus von 1789-1993 (auch Barbara Bush? eine kurze Google Bilder Suche belehrt mich eines Besseren: viel Stoff und viele Falten. Aber ist das nicht bei Film- und Fernseh-Galas genauso?) Und warum sehe ich überhaupt, mit Ausnahme von zwei collagierten Männertorsi, nur Frauenkleider? Wurde ein Großteil der Repräsentation schon immer über Pomp und Gehabe der Frauen zur Schau gestellt? Wenn ich dann an Entscheidungen im Irakkrieg, im Vietnamkrieg, über Guantánamo, Überwachung, usw. nachdenke, bekommt das private Leben von Menschen, die Gattinnen sind und Faltenröcke tragen, etwas unsäglich düsteres.

Wie auch in anderen Arbeiten Jan Kunzes besteht Early Roman Kings hauptsächlich darin, Bilder aus dem Kontext des Politischen zu finden, und sie sich anzueignen, indem sie auf eine oft mühevolle Weise reproduziert werden. Das gefundene Bild verhält sich hier aber so kohärent zur Form der Reproduktion, dass etwas Neues, völlig Eigenständiges entsteht. Gratulation! Dagegen ist die intensive Recherche, von der die Rede ist**, vielleicht etwas kurz gegriffen. Man hätte die Forschung, wenn es wirklich um sie ginge, viel weiter treiben müssen. Aber es geht eben nicht darum. Das Thema, nämlich die Repräsentation von Macht in der US-amerikanischen Präsidialbekleidung, dient vielmehr als Anlass für eine gute Arbeit. Dass Jan Kunze ein brennendes politisches und historisches Interesse mit dem Kunstmachen verbindet, ist schlüssig. In der Umsetzung wird ersichtlich, wie ernst es ihm ist; mit beidem.

Der Inhalt ist für sich allein spannend. Er ist aber auch ein Vehikel, eben jene Dringlichkeit in die Arbeit zu senken, die ich fordere; die man sieht (als eine Ernsthaftigkeit) und deren Interpretation dann doch am besten dem oder der Betrachter*in überlassen wird.

Grit Aulitzkys keramisches Werk grüßt gleich zu Beginn, der Tisch mit der herabhängenden Häkeldecke, und gruppiert sich dann hinter der Trennwand zwischen den Stoffbahnen. Während die einzelnen Teile eine Einheit bilden, die wie eine eigene Welt zum Anschauen stillsteht, können sich die Objekte im Gesamtraum jedoch nur schwer behaupten. Das mag am kuratorischen Kunststück liegen, das es erfordert, zwei Positionen die nunmal beide einen Preis bekommen haben in einen angemessenen Dialog zu bringen. Vielleicht aber liegt es doch an der schüchternen Drängung im Hinteren des Raums. Man kann nicht anders, als erst das eine, dann das andere anzuschauen. Erst Stoff, dann Keramik. Erst Jan Kunze, dann Grit Aulitzky. Wie in der Ausstellung so auch im Text.

In verschiedenen Abwandlungen wird die Bildwelt Grit Aulitzkys durch- und weitergespielt. Je nach Oberfläche und Farbe spricht die Form, glänzend und matt, betont dunkel lasiert die Kontur oder in hellen Ton belassen die Plastizität der Flächen. Es gibt nachgeahmte Haarstruktur, Militärmuster, Messingglanz, ein keramisches Häkeldeckchen und eine nicht-keramische Mütze. Es gibt Figuren, Alltagsgegenstände, Sexpuppenteile und „Bäume“, die aussehen wie ein Bergwulst mit Haaren. Die Farbauswahl ist gut und hat etwas heiteres, das immer wieder auf Härte stößt.

Aber irgendwie habe ich, immer wenn die Sexpuppen ins Spiel kommen, ein Problem. Und das Problem ist nicht, an sich etwas Sexualisiertes zu sehen, sondern, was die Füße und Köpfe und Unterkörper mit Löchern mit dem Rest der Arbeit machen. Wenn ich nämlich einen Tisch, einen Kopf oder einen komischen Baum in Keramik sehe, kann ich alles mögliche denken und empfinden. Wenn ich aber abgeformte aufblasbaren Körperteile sehe, weiß ich sofort: Aha, es geht um Sex. Und dann muss ich irgendwie alles sexuell interpretieren, obwohl sich das für mich gar nicht aus der Arbeit ergeben hätte.

Das Schöne an der Kunst ist doch, dass die Zuordnung nicht hundertprozent klar ist; dass man als Betrachter die Aufgabe und das Zugeständnis hat, zu sehen, was man will.

Manche Objekte sind aber so provokant klar in ihrem Verweis, dass ich mich beim Schauen und Interpretieren (und noch viel mehr der Freiheit, nicht zu interpretieren) bedrängt fühle. Ich kann Sexpuppen nicht uninterpretiert sehen, ich würde gern aber ich kann es nicht. Sie sind zwischen den Tischen, Hockern, Köpfen, Schuhen und den großartigen Bäumen das Einzige eindeutig zugeordnete.
Aber stimmt das? Sind die Schuhe nicht auch klar zugeordnet? Kann ich etwas anderes sehen als weiße Schlappen für einen zarten Damenfuß, die hier eben so abgestellt wurden, »wie dem echten Leben entrissen?« Am Ende macht’s die Mischung. Ohne den Bruch, ohne das Anrüchige zwischen dem »Netten«, wäre dieses »Nette« vielleicht eben zu nett, zu häuslich oder zu gefährlich nahe an einem sogenannten Weiblichen. Der Tisch im ersten Raum, der elegant sein Beinchen vorstreckt, und von dem, wie im Spieluhrentanz eingefroren, das Häkeldeckchen gerutscht ist - das sehe ich durch die Teile, die mir »irgendwasmit- Sex« zurufen, abgründiger: als den Albtraum der bürgerlichen Frauenfigur (Aufgabenfelder: Haus, Kinder, Sex).

Bleibt noch zu sagen: Die Bäume, diese komischen Wülste mit Schippel oben dran, sind einsame Spitze!

.
.

*Seit 2012 vergibt die Dresdner Stiftung Kunst & Kultur der ostsächsischen
Sparkasse Dresden gemeinsam mit dem Programm „Deutschlandstipendium“
zwei Projektstipendien für herausragende Meisterschüler+innen der Hochschule
für Bildende Künste in Dresden.
**Veröffentlichung der HfBK Dresden, https://www.facebook.com/events/
388503065276195 (Aufrufdatum: 02.05.2019)

Zurück

Nach oben