Rezension

Gespräche unter Affen

Die Reise in den kleinen Kosmos von Puck Verkades „Doing Lucy“ beginnt schon vorm Betreten des Ausstellungsraumes: rote Folie bedeckt alle Schaufenster des Schimmel Projects und verbreitet ein bisschen Verruchtheit.

Datum

13.06.2019

Autor/in

Elise Beutner

Künstlerin

Puck Verkade

Austellungsort

Schimmel Projects

Ausstellungstitel

Doing Lucy

Ausstellungsdauer

6.-23.6.2019

Im Inneren der Ausstellung wandert man durch eine Videoinstallation mit insgesamt 6 Kanälen, die sich an die technischen und räumlichen Möglichkeiten anpassen mussten und alle Winkel bespielen. Während im Hauptraum zwei Videos Platz auf großflächigen Projektionswänden gefunden haben, sind die anderen vier auf Screens oberhalb des Betrachters angebracht. Dadurch erlebt man die Ausstellung wie in sechs eigenständigen Kapiteln, die jedes durch ein eigenes Paar Kopfhörer ein wenig Privatsphäre gewinnen.

„Doing Lucy“ bezieht sich auf das 3,2 Millionen Jahre alte Skelett eines vermutlich weiblichen Vormenschen Australopithecus afarensis, das 1974 in Äthiopien gefunden wurde.

„Lucy“ betritt die Videowelt von Puck Verkade als gewitzte und wie selbstverständlich unser Gebaren aufgreifende Äffin.
Die Videoschnipsel sind durch ihre innere Absurdität ungemein komisch – Lucy, hier als unser aller symbolische Vorfahrin, erklärt mit eine Banane in der Hand, wie man Kondome benutzt. Sie sieht sich in einem farbverzerrten Talk Show Studio Mansplaining ausgesetzt, fällt beim heftigen Liebesspiel, diesmal in der vorzeitlichen Savanne, vom Baum. Sie springt durch Zeiten und Umwelten (ein Video zeigt Lucy, diesmal als Skelett, neben ihrer Mutter und Großmutter, ebenfalls auf die Knochen reduziert, händchenhaltend) genauso wie durch sämtliche digitale Darstellungsmethoden: Claymation (fotografierte Tonfiguren), low res-Animation, verändertes Found Footage – Puck Verkade tobt sich aus, mit allen Mitteln digitalen Erzählens.
Was man dagegen absolut nicht findet: die hochaufgelöste digitale Bildwelt, die ansonsten unsere Realität konstruiert. Diese Lucy fühlt sich im Dschungel hausgemachter Animationskultur wesentlich wohler als in seriösen Wissenschaftssendungen. Nur eine sehr intelligente KünstlerIn kann die Fäden der zwischen den sechs Videos kreisenden Kernthemen so gekonnt mit Referenzen und Methoden der niedrigschwelligen Animationstechnik verknüpfen, dass daraus ein erheiternder Rundgang im Rotlicht wird.

„I feel like I have no voice“ – sagt das eine Skelett

(Aufnahmen von unterschiedlichen menschlichen oder vor-menschlichen Skeletten in Museumsvitrinen, unterlegt mit einem verzerrten Soundtrack, der ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter wiederzugeben scheint. „I feel like I have no voice“ – sagt das eine Skelett.)
Die Videos sind so kurz, dass man nie den Punkt überschreitet, an dem man sich anstrengen muss um ihnen weiter zu folgen. Mein Lieblingsmoment ist der, in dem die animierte Lucy roten Formen gegenübersteht, die sich aus Blutstropfen an einer Rasierklinge, zu Blutstropfen auf einer Damenbinde, zu High Heels verwandeln. Neben ihrem schwarzen Pelz wirken unsere artifiziellen genderspezifischen Moden erst so richtig lächerlich. Insofern ist Feminismus sicher eines von Puck Verkades Themen, aber nicht im klassischen Sinne, würde ich sagen. Sie erzählt aus einer weiblichen Perspektive, aber nicht reaktionär sondern völlig selbstverständlich. Diese Souveränität genieße ich. Mir kommt in den Sinn, mal gelesen zu haben, dass alle Menschen eine gemeinsame Ur-ur-ur-….Großmutter hatten, auf deren Genom die gesamte Menschheit zurückgeht. Wiederholt taucht die Mutter-Tochter-Beziehung auf. Dass Themen wie MeToo, Mansplaining und Menstruation aus einer selbstsicheren Position heraus in die grundsätzliche Idee eingebunden werden und der Witz der Videos darüber erhaben bleibt, spricht für eine talentierte Erzählerin.

Was ist die Grundidee?

Dass die menschliche Vorstellungskraft ein größenwahnsinniges und omnipotentes Eigenleben führt: wir können nicht anders, als wissenschaftliche Funde in die Erzählungen unserer Weltbilder einzubauen und zu benutzen. Wir können nicht anders, als die beschränkte Realität in der Imagination zu durchbrechen, Linien zu ziehen, wo keine sind, Brücken über Jahrtausende zu schlagen, wo eine lineare Vergänglichkeit jede Brücke ad absurdum führt. Uns Bilder vom Unvorstellbaren machen.
Lucys Skelett wurde in den Jahrzehnten nach ihrem Fund für unterschiedlichste Theorien und Machtinteressen instrumentalisiert. Vielleicht ist es ein Schachzug, dass Verkades Videos so kurz bleiben, dass sie Ideen nur anreißen, einen Schwall lustvoller Fragmente in den roten Raum stellen und damit der Erzählung ihre wahre Macht vorenthalten. Ich möchte es gerne so sehen. Denn manchmal war ich fast enttäuscht, dass die Videos so kurz waren und hätte sie gern weitererzählen gehört, eine ganze Geschichte gehört. „Doing Lucy“ ist aber eben keine eigene Geschichte, sondern eine anregende Stimulanz. Alles Weitere muss der/die BetrachterIn in seinem eigenen Kopf tun, ohne Verkades klug arrangierte Bildunterstützung, die sich in der räumlichen Installation zwischen den rot folierten Fensterflächen zu einem schlüssigen Gesamtkonzept verbindet.

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