Rezension

Fiction of a Non-Entry

Leicht machen es einem die Künstler_innen, die das Pylon Lab auswählt, nie. Und das ist ein gutes Zeichen.

Datum

01.03.2020

Autor/in

Johanna Failer

Künstler

Mischa Leinkauf

Austellungsort

Pylon Lab

Ausstellungdauer

31.01. – 15.02.2020

Fotos

Mischa Leinkauf in: Plasma Magazin

Das Pylon-Lab ist nach kurzer Pause zurück. Im Wallgäßchen 2 habe ich bereits „Endjoy“ von Nicolaas Schmidt oder „Rural Technology“ und von Mario Pfeiffer gesehen, beides hervorragende Ausstellungen, über die ich gerne geschrieben hätte. Angefangen hatte ich, nur nichts davon zu Ende gebracht. Mein Wunsch zu schreiben kam aus Begeisterung, dann war ich aber doch sprachlos. Weil zu Mario Pfeiffers in Puerto Williams, Chile , entwickelter Arbeit „Approximation“ nichts hinzugefügt, nichts gesagt werden muss - und doch so viel zu sagen gäbe? Weil ich Nicolaas Schmidts Video „Final Stage“ mit den zwei möglichen Enden nicht den nachhaltigen Zauber zu nehmen wagte?

Leicht machen es einem die Künstler_innen, die das Pylon Lab auswählt, nie. Und das ist ein gutes Zeichen. Vielschichtige Themen werden umspannt: Digitalisierung, Kapitalisierung, Entfremdung, Macht und Unterdrückung, Technologien, Natur. Das Gezeigte impliziert immer auch eine Befragung dessen, was unsere hautnahe Gegenwart darstellt und was uns in Zukunft begleiten mag.

Die Arbeit eröffnet eine Vision davon, wie es sein könnte.

Seit dem 31. Januar 2020 füllt Mischa Leinkauf mit seiner Ausstellung „Fiction of a Non-Entry“ den Ausstellungsort. Das heißt, er füllt nicht. Lediglich zwei Arbeiten sind zu sehen, der Großteil des Raumes steht leer. Und dennoch wird er eingenommen und zusammengehalten. Oben eine großflächige Videoarbeit, unten im Eingangsbereich ein kleinerer Bildschirm mit Bank. Mit welcher scheinbaren Einfachheit ist die Präsentation umgesetzt! Jedes Mal aufs Neue ist es eine Freude, wenn die Dinge gut gemacht sind - auf Julia und Thomas Schmelzer, die Gründer des Pylon-Labs, ist Verlass.

Auf Betreten des Raumes folgt dennoch eine erste Irritation: Ich sehe mir USAmerikanische Nachrichten auf einem schräg oben hängendem Bildschirm an, TV-Sprecherinnen, Interviews, die Brooklyn-Bridge in verschiedenen Einstellungen. Es dauert eine ganze Weile, bis ich die weiße Flagge sehe, die anstelle der US-amerikanischen auf der Brücke thront.
In „Symbolic Threats“, so lasse ich mich einweisen, haben Mischa Leinkauf und Matthias Wermke die beiden Nationalflaggen durch exakt gleich genähte, aber weiße Exemplare ausgetauscht. Streifen und Sterne, meterlanger Stoff, alles exakt amerikanisch - nur farblos. Die Flagge wird zur Projektionsfläche. Weiß, unbefleckt, friedlich - oder aller Glorie, die Rot und Blau verkörpern, entledigt?

... sein inneres Bild umzusetzen trotz aller Hürden ...

Vor all diesen Fragen aber kommt mir die Sensationslust: „Wie sind die da rauf gekommen?“, will ich wissen, und sofort geht es nur mehr um das Risiko der Aktion. Wie schwer war es wohl, die Flaggen heimlich anzubringen, die Originale (mit vorschriftsmäßigem Respekt) zu Bündeln zu falten und aus dem Land zu schleusen; sie später wieder auszuhändigen und möglichen Strafen zu entkommen, hat man sich einmal zu Verantwortlichen der Aktion bekannt? Ebenso wie die spontane Aufregung (Terrorgefahr!) in New Yorks Öffentlichkeit, flacht die Erregung über die Aktion schnell ab. Am Ende dokumentiert ein Zusammenschnitt der öffentlichen Berichterstattung die künstlerische_ Arbeit. Irgendwie ernüchternd. Denn obwohl ich das Bild der weißen Flaggen auf der Brooklyn Bridge im ersten Moment ermutigend finde, geht es letztlich nur um die Medienreaktion. Eine künstlerische Besprechung wird dadurch unmöglich.

Doch dann fällt mir die Rede des New Yorker Bürgermeisters Bill de Blasio ein, die zum Schluss des Videos eingespielt wird. Er argumentiert Pro-Kunst: dass sie uns ärgern kann, aber auch nachdenken lässt. Vielleicht lässt sich dadurch die Unmöglichkeit der Rezension etwas aushebeln. Schließlich ist die ganze Aktion vergangen und man kann mit etwas (zeitlichem) Abstand doch darüber reden.
Ich selbst hätte dennoch lieber die genähten weißen Flaggen ausgestellt gesehen und mir vorstellen müssen, wie sie, mit allem Tumult, wirklich über New York flattern. Aber die sind ja nun US-Besitz.

Das Gezeigte impliziert immer auch eine Befragung dessen, was unsere hautnahe Gegenwart darstellt und was uns in Zukunft begleiten mag.

Durch den Vorhang hinter den Treppenstufen geht es in den oberen Bereich. Diffuses Blaues Licht empfängt mich, schlagartig tauche ich in eine andächtige Stimmung. Dieser große Raum! Vor mir: eine meterlange Bildfläche, auf die von zwei Beamern Massen blauen Wassers gestrahlt werden; unten ein wenig Meeresgrund. Dann sehe ich den Taucher. Dort, wo sich die Einstellungen abwechseln, hier und da ein Fisch, versunkene Seile, mit Algen bewachsene Schiffsreste, mal Felsen, Steigung, dann glatter Grund. Der Taucher, der der Künstler selbst ist, läuft nach rechts. Später wird er in verschiedenen Einstellungen nach links zurücklaufen. Wo genau, das ist nicht auszumachen. Und das ist der vielleicht entscheidendste Punkt.

Fiktion einer Nicht-Einreise lautet der Titel und lässt den nationalstaatlichen Aspekt vermuten. Mischa Leinkauf wandert nicht einfach auf dem Meeresgrund. Er überschreitet Grenzen; unter Wasser liegende Grenzen - unregistriert natürlich. Während sich die Grenzen zu Lande verfestigen, ist die Passage am Meeresboden unabgesteckt. Keine Barrikade hindert den Taucher. Trotzdem begibt er sich in Lebensgefahr. Wer terroristische Bedrohung vermutet, wird kaum zimperlich sein gegenüber einem versteckten Eindringling. Die überschrittenen Grenzen befinden sich, so lasse ich mir erklären, und so kann man es im Begleittext nachlesen, zwischen Marokko und der spanischen Enklave Ceuta, zwischen Israel und Ägypten sowie zwischen Israel und Jordanien: die „Flüchtlingsgrenze“, die „Terrorgrenze“ und die „Drogengrenze“. Dass die Zuordnung der geografischen Abschnitte im Video unmöglich ist, verdeutlicht die Absurdität von Grenzen. Warum darf ich in dieses Stück Meer und in das andere nicht, wo doch das Wasser dasselbe ist?

Er kann sich nur "für etwas" gefährden, indem er sich "für nichts" gefährdet.

Ich erinnere mich an eine Arbeit in Venedig 2015. Flaka Haliti zeigte im kosovarischen Pavillon Versatzstücke von Grenzmauern auf blauem Sand. Nur einzelne Metallgerüste von Mauern waren durchlässig im Raum verteilt. Eine Grenze, die nichts mehr abgrenzt. Die Arbeit eröffnet eine Vision davon, wie es sein könnte. Aber ist das schon eine Vision? Der Ruf nach dem Fehlen von Grenzen denkt den Wunsch ja letztlich nicht über die Grenze hinaus. Was kommt danach? Was könnten Formen von Solidarisierung sein? In beiden Arbeiten geht es um Grenzen, und beiden Arbeiten bleibt als verbindendes Element der Sand und die Farbe Blau zu Eigen. Aus der Erfahrung der Begrenzung wächst das Verlangen nach dem Uferlosen. Sand, ungeteilte Fläche, Freiheit - in der physischen Bewegung und im Denken.

Was mir als zweites Merkmal an beiden Arbeiten ins Auge sticht, ist dann aber doch eine verhältnismäßige Eindimensionalität. Flaka Haliti und Mischa Leinkauf mögen zwar zum Nachdenken über Grenzen anregen, ihre Arbeiten zum Thema jedoch eröffnen kaum verschiedene Lesweisen. Etwas poetisch, etwas politisch, im Kern aber ohne größere Spannung.

Ein großer Unterscheid bleibt dann aber doch: Die Spannung der Gefährlichkeit. In beiden Arbeiten, „Symbolic Threats“ wie auch „Fiction of a Non-Entry“ hat sich Mischa Leinkauf einem enormen Risiko ausgesetzt. Dass ich auf die vielen Fragen, die sich mir stellen, keine spontane Antwort habe, ist ein Glück. Nichts ist langweiliger als alles gleich zu wissen.

Leicht machen es einem die Künstler_innen, die das Pylon Lab auswählt, nie.

Und so lade ich zu einem kurzen Gedankenspaziergang ein. Zuerst muss gefragt werden: Welche Rolle spielt die Information über die „Gefährlichen Umstände“ in der Rezeption der Arbeit? Macht es die Arbeit besser, dass sie an Risiko gebunden ist? Wäre dieselbe Arbeit ohne Gefahr banal gewesen?

Wir kommen an eine Weggabelung:

  1. Lautet die Antwort "Ja", ergibt sich die folgende Prämisse:
    Da dem Faktor Gefahr eine Bedeutung innerhalb der künstlerischen Arbeit zukommt, muss sie maßgeblich zu deren Inhalt beitragen. Wie kann demnach die Gefährlichkeit in der Umsetzung gelesen werden?
    a) Als Anspielung auf bedrohliche Grenzübertretungen, zu denen sich Menschen in prekären Lebenssituationen gezwungen sehen? b) Oder nur als Persiflage auf die Grenze an sich, die - mit der Gefährdung einzelner Leben verbunden - doch menschgemacht ist und keiner Zwangsläufigkeit unterliegt? Um dies zur Schau zu stellen gefährdet sich der Künstler, und zwar "für nichts", denn er will ja gar nicht auf die andere Seite. Er gefährdet sich aber gleichzeitig "für etwas", nämlich für die Kunst. Er kann sich nur "für etwas" gefährden, indem er sich "für nichts" gefährdet, also mit seiner Grenzüberquerung keinen Nutzen verfolgt. Deswegen ist die (illegalisierte) Grenzüberquerung eines Menschen in Not keine Kunst, auch wenn sie gefilmt würde.
    In der einen wie der anderen Lesart bleibt mir die Frage, wie durch die freiwilligen Aussetzung - in genau diese Gefahr - der Realität jener Rechnung getragen werden kann, die durch Grenzen in ihrem Leben tatsächlich bedroht werden.

Auf der anderen Seite des Weges:

  1. Lautet die Antwort auf die Frage, ob die Arbeit ohne Gefahr banal gewesen wäre, "Nein", so können wir über Adrenalin-Kick oder Ego spekulieren. Wir können aber auch ganz einfach annehmen, dass es dem Künstler (und dem Künstlerduo) Spaß macht, mit dem Bruch von Regeln und mit einem gewissen Risiko zu experimentieren. So spielt es für mich letztlich keine große Rolle, ob die Umsetzung der Arbeit gefährlich ist. Es zählt, was sichtbar gemacht wird.

Auch wenn mir die gezeigten Arbeiten trotz Meeresgrund am Ende etwas flach erscheinen, nehme ich eine Überzeugung mit: Wenn einer eine Idee hat, die ihm kraftvoll erscheint und uns ermutigen kann, und dieser eine nimmt dann die Arbeit auf sich, sein inneres Bild umzusetzen trotz aller Hürden und weicht nicht davon ab - dann hat das die vollste Berechtigung. Und vielleicht ist ja doch alles nur Fiktion. Ja, doch: ich traue es dem Künstler zu, das alles wirklich gemacht zu haben. Aber die Vorstellung, dass es nicht gemacht werden muss, aber dargestellt und also: vorgestellt wird - diesen Gedanken finde ich noch schöner.

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