Rezension
An Theresa Rothes „Freunden“ kommt man nicht vorbei: unter der Kuppel des Oktogons spannt sich eine weitere Kuppel in Form einer riesigen betretbaren Katze auf. In den merkwürdigen Plüschfiguren, dem elektrisch zitternden Besen und den fratzenhaften Gesichtern liegt etwas von dem, was ich an früheren (kleineren und wohl intensiveren) Arbeiten Rothes schätze. Aber es könnte sein, dass das verloren ging im Bestreben, zum Diplom etwas besonders Großes zu machen.
Die Kunst zum Diplom zwanghaft groß zu denken ist ein verbreitetes Phänomen. Je größer die Arbeit, desto prominenter ist dann ja auch der Raum, der ihr innerhalb der Ausstellung zuteil wird. Aber einen Raum einzunehmen, das dauert. Wenn dazu die Zeit fehlt, wirken die Ergebnisse oft aufgeblasen, als wollten sie mehr sein als sie sind.
Den Eindruck hatte ich auch bei Mirjam Kroker. In einem eklektischen Sammelsurium hat sie Dokumente künstlerischer Forschung zusammengetragen. Man könnte auch sagen: sie hat Podeste gebaut für das, was sie interessiert. Das sieht nach einem aufwendigen kuratorischen Konzept aus. Mit immerhin 4 Videoprojektionen, schon von weitem vernehmbarem Sound, mehreren Kopfhörern, archivartigen Papierstapeln, Büchern, Objekten und ausgelegtem Teppich soll besonders eindrücklich etwas vermittelt werden - aber was?
Die glitzernden Vorhänge versprechen, was alle Plattformen tun: Spaß und Leichtigkeit. Hier finge die eigentliche (Forschungs-)Arbeit erst an. Der entscheidende Schritt der Verdichtung fehlt. Stattdessen wird, etwas bequem, in die Evidenz des Gesammelten vertraut. Das ist schade, denn viele Ansätze sind interessant. „Second highest mountains in the world“ steht unter einer Berg-Abbildung. Niemand wolle der Erste sein. Oder ein Stein auf einem Podest: „read me“. Warum das zu mir spricht? Vielleicht, weil es auf den ersten Blick um Berg und Stein geht, auf den zweiten aber wird man auf sich selbst zurückgeworfen. Es geht um den Menschen. Irgendetwas daran finde ich poetisch. Dann aber kommt schon wieder der erhobene Zeigefinger.
Es gibt eine Reihe ausgelegter Wörterbücher (alle sehr nostalgisch aussehend!) - sollen wir mehr Fremdsprachen lernen? Eisschollen, die sicher bald schmelzen, ein Mann, der irgendwas wissenschaftliches erklärt - nein, ich habe nicht zugehört. Es ist unmöglich sich in diesem Raum zu konzentrieren. Das soll man auch gar nicht. Man wird bewusst außen vor gelassen.
Wer Sachbücher in einer Ausstellung auslegt, tut das nicht, um das Publikum zur Lektüre einzuladen. Man tut das als Beweisführung: „Ja, das hier Gezeigte hat ein theoretisches Fundament. Ich habe einen Wissensvorsprung“. Die eigene Dummheit wird uns damit vor Augen gehalten. Nein, diese Bücher liest niemand im Ausstellungsraum, aber in der Folge trauen wir unserer Urteilskraft weniger.
Im inhaltlichen Vorsprung zu sein wird nirgends so selbstgerecht gefeiert und von den Zurückgelassenen auch noch bejubelt, wie in der Kunst. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Jurys selbst beweisen wollen - „Wir haben es auch verstanden!“ Ich komme mir ausgetrickst vor bei dieser Kluft zwischen Anspruch und Realisierung. Immer geht es um ganz Großes: globale Zusammenhänge, Reisen, andere Länder, Naturphänomene, Philosophie. Dabei macht die Künstlerin nie sichtbar woher das alles kommt. Wo ist die innere Logik? Was ist die Methode?
Ähnlich geht es mir bei Theresa Tuffner: die Zeichen stehen auf Komplexität, aber ich komme zu keinem Verstehen, außer einem - recht dürftigen! - kognitiven, nach Lektüre des Begleittexts. Verstehen geht auch durch den Körper, durch die emotionalen Zentren. Die Hervorhebung dieser Arbeit seitens des Freundeskreises kann ich nur als Herumstochern in den eigenen Vorstellungen sehen; Vorstellungen einer unglücklichen Kultur, in der wir denken, dass Wissen reicht, um Veränderung herbeizuführen.
Bei der alltäglichen medialen Überreizung brauchen wir keinen Künstler, der uns erzählt, wie komplex die Welt ist, sondern einen, der aus der Komplexität eine Auswahl trifft. Der in der Lage ist, etwas Einzelnes herauszustellen und diesem Bedeutung und Wichtigkeit zu geben.
Beide, Theresa Tuffner und Mirjam Kroker, arbeiten in ihren Diplomarbeiten additiv. Beide setzen auf „viel hilft viel“. In einer Anhäufung gemischter Thematiken und Medien findet jede/r etwas, was ihm/ihr gefällt - die Rechnung ging auf. Schon wieder punktet das Marktschreierische. Schon wieder wurde Cool-Sein vor Ernsthaftigkeit prämiert. Eine einfache Zeichnung, in der sich jemand eine eigene Sprache erarbeitet, hat viel mehr Gehalt als wenn man ein Archiv auskippt. Aber sie wird nie einen Preis gewinnen.
Ich hätte ja Natalie Burgmann den Preis gegeben. Mit zwei Zeichnungen, zwei kleinen Leinwänden und der mittig hängenden nicht-benutzbaren Kleidung eröffnet sie mit sicherer Hand eine sensible Welt, die ohne Zusätze Bestand hat. Wärmekleidung heißen die genähten Objekte, auf eines der Kleidungsstücke wurden verschiedenartige menschliche Haarsträhnen appliziert. Die Künstlerin hat sicher ihre Freunde gefragt, ihr Haare zu schenken. Wie das wärmen muss! Mich berührt die Idee, dass wir fragile Wesen sind und Fürsprecher brauchen, Wächter unserer Seele - das sind unsere engsten Vertrauten.
An der einen Jacke, die Kindergröße hat, ist auf Po-Höhe ein Loch. Ich habe sofort eine Interpretation: um im Winter, wenn es kalt ist seine Notdurft zu verrichten, ohne sich ungeschützt machen zu müssen. Nein, ich glaube ganz sicher das ist kein Loch zum Ficken. Das wäre eine gute Frauenkleidung, die auch schützt vor Blicken und Interpretationen. Und vor allem ein gutes Bild für etwas ganz Menschliches und Warmes.
Auch die Zeichnungen sind gut. Natalie Burgmann hat es verstanden, die richtige Auswahl zu treffen. Weglassen ist schwieriger als anhäufen.
Wer hier den „gesellschaftlich relevanten Diskurs“ und die „ernstzunehmende Fragestellung“ vermisst*, hat etwas Grundlegendes nicht verstanden. Es braucht ein gutes Ohr, sich auf so ruhige Arbeiten einzulassen. Wenn Burgmanns Arbeit und den Großteil der Diplomausstellung als anspruchslos abgetan wird, zeigt das meiner Meinung nach eine fragwürdige Forderung an die Kunst: Relevanz zu erlangen erst durch die Rechtfertigung von außen, genauer: durch die Behandlung scheinbar politischer und wissenschaftlicher Themen. Vielleicht ist die in der Diplomausstellung gezeigte Art von Kunst ja auch gerade eine Verweigerung gegen diesen Relevanz-Anspruch; und damit ein Versuch, nicht der Legitimationskrise nachzugeben, nicht dem Diktat der großen Kuratoren zu folgen. Kunst hat ihre größte Schlagkraft, wenn sie ganz zu sich steht.
Es gibt noch andere schöne Überraschungen: Zum Beispiel die Arbeit von Nikolas Rittger. Meine erste Irritation war tatsächlich der Titel: "Orientierungsphase". Instinktiv macht mein schon etwas müdes Gehirn die falsche Verknüpfung: Stellt hier jemand aus der Orientierungsphase aus, also dem ersten Jahr an der Kunsthochschule? Die Arbeit besteht aus einem sternförmig ausgreifenden Raum im Raum, gebaut aus transluzenter Folie und Holz. Aus dem Inneren dringt spannungsvolle rhythmische Musik, ein bisschen wie bei der Kamerafahrt über die Wüste in einer reißerischen Doku. Unwillkürlich möchte man sehen woher der Sound kommt, also rein in diesen abgeschlossenen Raum! Man fängt an, ihn zu umrunden und denkt: „gleich kommt’s, gleich kommt’s!“ Aber es gibt keine Öffnung. Ich drehe noch eine Runde. Die Proportionen stimmen, der Sound nimmt nicht überhand. Eine leichte Frustration stellt sich ein, auch Langeweile. „Ok, ich habs verstanden.“ Das Bild, das diese Arbeit mir an die Hand gibt, bleibt mir doch im Gedächtnis. Ja, so fühlt sich das an: die Pause, in der man sich neu orientiert und dann merkt, dass das ganze Leben eine Orientierungsphase ist.
Joo Young Kims Arbeiten hätte ich wohl zu schnell abgestempelt, wäre da nicht meine sensible Begleitung gewesen. Altbacken kam mir die Malweise vor, unangenehm emotionalisiert die Sujets. Die umgekehrten Leinwände an der Wand, der bemalte Stoff vom Rahmen gelöst und über einen schäbigen Stuhl im Raum gehängt - was soll das? Aber die Arbeiten sind einen zweiten Blick wert: Umkehrung scheint ein Thema zu sein, das auf verschiedene Arten durchgespielt wird. Mit den Leinwänden, den „umgekehrten Landschaften“ und den „Rauchern in der Umkehr“. Was für eine Melancholie muss das sein, wo die alte Frau nach dem Schoßhund greift als einzige Stütze? Kommt die immense Schwermut in den Arbeiten vieler asiatischer Studierenden aus der Diaspora? - wir spekulieren. Die Weinende ist besonders stark. Hier weiß man tatsächlich nicht mehr, was die Innen- und was die Außenseite der Leinwand ist. Schon finde ich es nicht mehr platt, die Leinwände umzukehren und damit das Innerste nach Außen.
Von Veronika Pfaffinger gefielen mir besonders die gesprenkelten Schalen und Teller, die sich nach unten biegen, als seien sie in der Hitze geschmolzen. Was sehe ich darin? Die Morgenmüdigkeit, wenn man am Frühstückstisch nicht so recht aus dem Quark kommen will? Eine Offenheit, da sich die Teller öffnen, sich ausstrecken und über ihren Rand blicken lassen? - oder einfach schöne Objekte? Wohl alles drei!
Nach der Ausstellung brauche ich eine Pause und setze ich mich auf die Stufen des Oktogons. Die Loggia, wo Federico Hirschfeld als Ernesto Rodriguez verschiedene kurze Internetvideos auf mehreren Fernsehern installiert hat, war für mich die totale Hirnblähung. Meine Begleiterin aber kommt mir freudig entgegen: „Memes that I like to watch instead of making art“ - fand ich einen guten Abschluss. Endlich jemand, der über sich selbst lachen kann.“
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