Rezension
Kurz nach Betreten und einem kurzen Umschauen beginnt ein angenehm gestalteter Parcours entlang der weißen Wände, der die BetrachterInnen behutsam von Arbeit zu Arbeit leitet. Zu sehen gibt es einige Arbeiten aus dem letzten Jahr und einige ganz neue aus dem noch jungen 2019. Allesamt sind bereits auf der Website der Künstlerin zu sehen. Wer Lisa Pahlkes Arbeiten kennt, erinnert sich an die anfänglich dunklen Faltenverläufe, zu denen im Laufe der Jahre immer weitere Farben hinzugekommen sind. Die Entwicklung ergibt Sinn. Der Schritt von schwarz zu gelb und schwarz ist einleuchtend. Aber die teilweise ungewohnt strengen Farbübergänge von dunkel zu hell überfordern nicht und lassen den Blick weiter über die stofflich anmutenden Oberflächen wandern. Es lässt sich ein fast meditativer Arbeitsprozess der Künstlerin erahnen. Genauso meditativ kann man die Zeit vor Lisa Pahlkes Arbeiten verbringen. Das Durchdringen der Oberfläche, wie es der Titel der Ausstellung - Die Innenseite der Oberfläche - suggeriert, bedarf gut und gerne etwas Zeit. Sogar die Technik, häufig Tusche auf Papier, ist nicht sofort zu durchschauen, liegen die einzelnen Linien doch so übereinander, dass sie fernab eine neue Oberflächenstruktur zu evozieren scheinen.
Lassen sich manche Arbeiten aus dem Jahr 2018 noch mit „purple taste“ oder „pour parler“ betiteln, lesen wir unter den neuen Arbeiten von 2019 nur noch aneinandergereihte Symbole. Aus diesen scheint die Künstlerin ihren eigenen Rhythmus und Bedeutungscodex erarbeitet zu haben. Die Dimensionen der Papiere variieren, ebenso die strukturellen Oberflächen,welche sich teilweise über mehrere Bögen erstrecken. Hier und da erkennt man einen kleinen Ausbruch aus der geschlossenen Norm, wie etwa bei der Arbeit mit dem sehr kryptischen Titel I°xΔ°. In einer schlauchartig senkrechten Form, weichen die sonst so dicht verwobenen Linien sanft voneinander ab, hängen schlaff herab und bedecken einander nur noch leicht. Nach oben hin zerstreuen sie sich immer mehr, ihr Gewebe löst sich beinahe auf. Und so wandern die BetrachterInnen systematisch durch den Raum und kommen wieder an der großen Fensterfront an. Hier liegen, neben weiteren Ausstellungsflyern, auch der Raumplan und die Pressemitteilung aus. Neben den gängigen Infos über den bisherigen Werdegang der Künstlerin ist aus einem ca. halbseitigen werkbeschreibenden Text ablesbar, was der Werkkörper der Künstlerin denn auszusagen hat. Ein kurzer, letzter Absatz thematisiert den natürlich-menschlichen Drang nach Definition, Namensgebung und einer Betitelung dessen, was man schlichtweg nicht versteht.
Und plötzlich geht es in einer der bekanntesten und etabliertesten Galerien Dresdens um die Sinnfrage von Kunst. Bedenkenswert ist aber, ob die Frage intensiv genug gestellt wird und im aktuellen Kontext der Ausstellung auch berechtigt ist. Die Frage nach dem Sinn von irgendetwas stellt sich natürlich auch außerhalb der Kunst. Das womöglich schönste und aktuellste Beispiel ist die Wissenschaft rund um unseren Kosmos. Ein beklemmendes Gefühl stellt sich ein, wenn man im Vergleich zum großen Ganzen die eigene Bedeutungslosigkeit feststellt (nicht zu vergessen die Vorgänge über und um uns herum, die das eigene Verständnis maßlos übersteigen).
Diese Erkenntnis übertragen auf das Schaffen von KünstlerInnen sorgt für die berechtigte Angst vor der einfachen Antwort:
Und wer sich im alltäglichen Leben nicht gerne auf Sinnsuche begibt, tut das wahrscheinlich genauso wenig in der Kunst. Man überlässt den BetrachternInnen gerne die freie Interpretation, legt in der Regel einen gewissen Grundsatz mit einem kurzen Text vor. Doch wie fair ist die daran geknüpfte Aufgabenverteilung zwischen KünstlerIn und BetrachterIn? Denn die Frage, ob alles in der Kunst einen Sinn haben muss, ist nur dann legitim, wenn man der eigenen Arbeit insgeheim doch mindestens einen Sinn geben kann. Dies soll nun nicht der Versuch sein, die eigene Arbeit paketartig zusammenzuschnüren, um nichts herausfallen zulassen, sie fehlerfrei zu machen, zu theoretisieren.
Aber der Sinn muss dennoch größer sein, als die Passion an der Arbeit selbst, also dem tatsächlichen Tun. Wer KünstlerIn ist arbeitet schließlich gern, könnte man annehmen. Doch die Argumentation der Künstlerin schwächt das Gewebe ihres Werkkörpers.
Denn für Wohlbefinden sorgen, das tut sie, und zwar sehr gut. Doch die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Kunst braucht ein Zwicken, einen Störer, der die Frage darauf lenkt. Das einzig Störende an Lisa Pahlkes Arbeiten sind ein paar Knicke im Papier, die wohl beim Transport oder beim Anbringen der Arbeiten entstanden sind. Aber vielleicht ist das der clevere Schachzug. Denn man kann sich schließlich auch an den schönen Dingen reiben. Überträgt man nun die Vorstellung des Kosmos, mit all seinen Unverständlichkeiten, noch einmal auf Lisa Pahlkes Arbeit und ihrer Unendlichkeit der Linie, mag sich für manche BetrachterInnen eine ebenso komplette Welt eröffnen, deren Unbegreiflichkeit in eine fast lähmende Faszination mündet. Ob die Künstlerin selbst Herrin ihres künstlerischen Kosmos ist, oder ob sie methodisch versucht, diese Herrschaft abzuschütteln? Sowohl der Text als auch die Ausstellung bleiben dieser Antwort schuldig. Aber dann lässt sich die Angst vor der Sinnlosigkeit immer noch überdecken mit: muss ja nicht alles einen Sinn haben.