Kommentar

Der Zweifel am Unterfangen

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Blogs, der zeitgenössische Kunst und ihren Bedingungen kritisch betrachtet, wächst der Zweifel. Machen wir hier nicht genau das, was wir eigentlich kritisieren: unbezahlte Kulturarbeit und Selbstausbeutung, nur um irgendwie dabei zu sein?

Datum

11.06.2019

Autor/in

Johanna Failer

Wir waren fest überzeugt: Kunst braucht Kritik. Kunst muss besprochen werden, den Künstlern, den Ausstellungsmachern, den Betrachtern zuliebe. Also dreifach: uns selbst zuliebe.

Wir vermissen Kunstkritik. Wir vermissen sie in den Feuilletons und wir vermissen sie auch - nicht immer - in den großen Kunstmagazinen. Und wir vermissen eine Besprechung von Kunst jenseits der vier, fünf deutschen Hauptkunststädte, für die es immerhin einen Zuständigen in den Printmedien gibt. Was auch nicht zwingend eine fundierte Auseinandersetzung bedeutet - dafür fehlt oft die Zeit. Aber immer noch besser als manche Pseudo-Rezension lokaler Medien, die in Ermangelung eines besseren ziemlich genau den Pressetext der Ausstellung reproduziert.

Etwas spitz gesagt, es gibt im Bezug auf Kunstkritik in Deutschland viel Soße und wenig Nährstoff. Am Ende bleibt es doch oft bei der Beschreibung, die kaum etwas wagt, das irgendwie angreifbar macht. Dabei möchte ich Ausstellungsrezensionen nicht nur als Bestandsaufnahme lesen, um nichts verpasst zu haben, sondern vor allem aus folgenden drei Anlässen:

  1. Wenn ich die Ausstellung gesehen habe, und zwar um meine Meinung abzugleichen, zu überdenken und zu schärfen über das, was ich gesehen habe.
  2. Um zu wissen, was es sonst noch alles gibt, das ich nicht alles sehen kann, und um dadurch das aktuelle Kunstgeschehen kommentiert überblicken zu können.
  3. Um allgemeinere kunstrelevante Fragen im Kopf zu behalten und die eigene Erfahrung in einem weiteren Panorama zu reflektieren.

Natürlich gibt es hervorragende Kunstkritiken. Und es gibt auch ein paar richtig gute Blogs. Unser Antrieb war es, genau das, die gute Kunstkritik die uns fehlt, für Dresden zu etablieren: einen Kunstjournalismus, der aktiv ist und sich zu streiten traut. Soweit so gut. Davon sind wir immer noch überzeugt. Aber nun, da wir online gehen und mit dem Haufen Arbeit, den wir uns zugemutet haben, weiterlaufen müssen, kam ein (kunstkritischer!) Zweifel:

Etablieren die ganzen unbezahlten Kreativen, also auch wir, nicht letztendlich eine Konvention von (Selbst-)Ausbeutung, die uns allen schadet? Reproduzieren wir mit unserem Blog nicht auch die marktkapitalistischen Strukturen des Kunstbetriebs, der sich selbst bereits immer wieder kopiert und dem wir eigentlich etwas entgegen setzen wollten?

Zeitgenössische Kunst bedeutet immer auch die Teilnahme an einem hochkompetitives Netz, in dem konstant um Aufmerksamkeit, Anerkennung, Status und Chancen gefochten wird.

Das gilt insbesondere für Blogs, Off-Spaces und andere subkulturell anmutende Projekte, die das Risiko allein tragen. Die permanent beschäftigt sein müssen mit der Nutzung ihrer sozialen Verbindungen für Reputation und zukünftiges Einkommen - und die überhaupt immer und überall super-beschäftigt aussehen. Müssen auch wir diese Prozesse letzten Endes als selbstverständlich erachten, um unsere eigene Existenz zu verteidigen?

Das Ganze mit dem Blog klang eigentlich nach Selbstermächtigung und Freiheit. Wir initiieren den Kunstjournalismus, den wir für uns selbst wollen, niederschwellig und lebendig. Wir reden mit vielen Menschen, wir schreiben von zu Hause, in Cafés, wir diskutieren an schönen Orten, stiften viele an, auch zu schreiben, wir treten in regen Austausch, vernetzen uns, gehen in jede Ausstellung, sind im Bilde über das, was gerade wichtig ist…
Gleichzeitig wissen wir, dass es genau diese Illusion von künstlerischer Autonomie und Selbstverwirklichung ist, die sich für Kulturarbeiter*innen als so tückisch erweist. Sie stiftet Bereitschaft zu unbezahlter Arbeit, zu prekärer Lebens- und Arbeitsformen und dazu, alle privaten Interessen und Freundschaften produktiv zu machen. Unser aller American Dream ist es, dass wir mit dem erfolgreich sein werden, was wir gerne tun, wenn wir es nur gut genug tun. Damit werden Fragen auf die individuelle Verantwortung abgewälzt, die eigentlich politischer Art sind: Wie erreichen wir eine gerechte Absicherung selbstständiger Kulturarbeit, wie kann Vergütung kultureller Tätigkeit heute und in Zukunft aussehen? Die allgemeine Forderung nach sozialer Gerechtigkeit wurde fälschlicherweise mit mehr Flexibilität für den Einzelnen beantwortet. Wir sind entwaffnet. Wir haben uns ja selbst ausgesucht, so zu arbeiten.

Zu welcher gesellschaftlichen Entwicklung tragen wir bei und zu welcher wollen wir beitragen?

Ich bin nicht sicher, wie eine politische Lösung für prekäre Kulturarbeit aussehen kann, abgesehen von einer solide Grundsicherung jedes Menschen überhaupt. Auf dem aktuellen Stand der Bedingungen von kultureller Arbeit ist das »Nicht-Mitmachen« eine Option, die uns viel präsenter sein müsste. Weniger radikal formuliert muss bei jeder Tätigkeit die genaue Befragung stattfinden, zu welchem Preis etwas gemacht wird, bzw. mit welchen Hintergedanken. Hier wie in anderen Bereichen des Lebens gilt: Zu welcher gesellschaftlichen Entwicklung tragen wir bei - oder zu welcher wollen wir beitragen? Das ist eine Frage, die jede*r mit sich selbst ausmachen muss.

Was halbsieben betrifft, bleibt uns nichts als das »Ausprobieren«. Wie sich unsere eigenen Abwägungen darüber entwickeln, was mitzumachen wir bereit sind und wogegen wir uns entschieden stellen, wird sich zeigen. Zwischen den Polen von Selbstermächtigung/ Unabhängigkeit/ Freiheit einerseits und Produktivität/ Wettbewerb/ Status andererseits werden wir versuchen, die Bedingungen unserer eigenen Arbeit abzustecken und zu reflektieren.

Zwei Gedanken sind schädlich: "Irgendwie dabei sein wollen" und "es lohnt sich schon irgendwann"

Genau zwei Gedanken sind es, die wir und alle unbezahlten Kreativen im Blick behalten müssen: Das eine ist der unbedingte Wunsch, »irgendwie dabei zu sein« (deswegen läuten bei mir schon die Alarmglocken, wenn ich höre, als Künstler*in müsse man nach Berlin.) Das zweite ist: Denken, es lohnt sich irgendwann. Wer denkt, es lohnt sich irgendwann, meint Lohnen in Form der Be-lohnung von außen, die sich nach gegebener »Vorarbeit« schon irgendwann einstellen wird - sei es in finanzieller oder einer anderen Währung, wie Reputation (v.a. Präsenz in wichtigen Instanzen). Generation Praktikum auf die Kunst übertragen also.

Eine Prämisse entgegen dieser zwei Gedanken könnte lauten: Ohne Hintergedanken sein. Heißt für uns: wir schreiben und redigieren kritische Texte über Kunst, weil wir selbst gerne solche Texte lesen würden. Weil wir diese Arbeit wichtig finden und weil sie uns interessiert. Es geht uns um die Sache selbst. Ohne falsche Erwartung. Dafür unkorrumpiert!

Wir werden keinen Ausstellungsmarathon durchleben, wir verpflichten uns nicht zu Vollständigkeit und auch zu keiner verrückten Konkurrenz um Aufmerksamkeit. Das einzige, was wir machen können, und zwar ehrlich und überzeugt machen können, ist aus eigener Motivation zu schreiben. Das heißt: über das schreiben, was uns interessiert. Und das wiederum heißt: nur zu schreiben, wozu uns entweder etwas einfällt oder wozu wir den Willen und die Neugier haben, uns hinzusetzen und nachzudenken auch wenn uns erstmal gar nichts einfällt.

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