Rezension

Aus dem Bauch

Spaziergang durch die Jahresausstellung mit Flora Patrix. Manches ist unfertig, manches ist grober Quatsch - in manchem aber steckt ein tiefes Wollen. Da werden persönliche und allgemeine Erfahrungen verhandelt, es geht um grundlegend Menschliches und überhaupt hat man das Gefühl, es geht um was. Wo ich das spüre - formvollendet oder nicht - regt sich etwas in mir: Hoffnung und Begeisterung.

Datum

24.07.2019

Autor/in

Johanna Failer

Ausstellungsort

HfBK Dresden (Jahresausstellung)

Ausstellungsdauer

13 - 21. Juli 2019

Der Hof ist ruhig, sonnenbeschienen. Wir starten in den Räumen der Brandmeier-Klasse und schlendern, bis wir vor einer Arbeit gleichzeitig stehenbleiben: Angelika Seiberts Videoinstallation o.T., Videoperformance. Eine Frau versucht beharrlich auf dem Boden zu zeichnen, während zwei Kinder auf ihr herumturnen und an ihr zerren. Sie zeichnet unbeirrt weiter, obgleich die enorme Anstrengung spürbar wird, die es kosten muss, fortzufahren. Wie gut getroffen, und dabei immer noch mit Humor.

Es gibt nichts zu sehen, nichts zu erleben. Das Drumherum ist auch schon alles.

Auffallend ist die Ausstellung in der Nicolai-Klasse. Ich werde im Folgenden mein Schlaglicht auf die Arbeiten halten, die direkt zu mir gesprochen haben. Mit Universum - draußen vor der Tür zeigt Konrad Leue ein Zeichentrick-Musikvideo das einfach Spaß macht. Man wippt im Takt zur rasanten Fahrt mit dem Sensenmann, die souverän gezeichnet und geschnitten ist. Aus der hinteren Ecke rechts durchzuckt in regelmäßigen Abständen ein elektrisierendes Knistern den Raum. Hoffnung. Ästhetik- und Funktionsmodelle von Stefan Schleupner besteht aus einer aufrecht stehenden weißen Schale, vor der sich zwischen zwei Kabeln angestaute Energie entlädt. Ein flacher Metallzylinder springt bei jeder elektrischen Entladung. Das Geräusch und die Spannung versetzen mich in eine seltsame Stimmung, ich fühle mich gleichzeitig angezogen und bedroht. Hoffnung vielleicht, weil diese Momente des Krachs, der Entladung immer wieder kommen werden, einfach dazugehören? Fast alle Arbeiten im Raum sind stimmungsvoll, oft bedrohlich. Etwas geht kaputt oder ist kurz davor. Der Moment des Brechens ist immer wieder mit einer so technischen Kühle veranschaulicht, dass man als Mensch alleine bleibt, ausgesetzt in eine leere Welt. So auch bei Felix Ermacoras Insel mit Hütte II. Man muss sich an den Kanister lehnen, um durch ein kleines Fenster das Video im Inneren zu sehen: Eine Hütte im Bersten. Noch hält sie, noch hält sie, doch schon gibt sie, von innen gebeutelt, immer weiter nach. Den Auslöser des Übels sieht man nicht. Dann wird es schwarz und die Zerstörung beginnt von Neuem. Was ist die Insel: Hütte oder Kanister? Im Inneren des Kanisters ist die Hütte ein zweites Innen. Während der Kanister, schräg liegend, das treiben im Meer suggeriert, hat die Hütte in ihrem Für-sich-Abgeschlossensein etwas inselhaftes. Nichts hält, alles ist unsicher - und in dieser Unsicherheit, in der Repetition des Brechens, liegt auch die Beständigkeit.
Unser Rundgang erfolgt unwillkürlich vereinzelt, jede geht für sich und muss mit den Arbeiten, die von Ausgesetztsein und Einsamkeit sprechen, allein sein. Dann aber haben wir im Hinterzimmer ein gemeinsames Erleben: Simon Hillmes audiovisuelle Installation (o.T. ), mit Fernseh-Störungen gemacht. Es ist, als hätten die Geräte ein Eigenleben und es klingt erst noch gut. Was man alles aus diesen alten Kisten rausholen kann!

Weiter geht es in den elbwärts gerichteten Ateliers. Dominant ist schwere Malerei an den Wänden, zum Teil dicht gehängt. Wir kommen ins Reden vor den beiden Räume der Henning-Klasse: Kaum eine Veränderung zu den Vorjahren, als es noch die Bömmels-Klasse war. Gemein gesagt: „Die Pippi-Kacka-Station ist immer noch da.“ (F.) Die Möchtegern-Provokateure scheren sich zusammen. Die Malerei ist miserabel. Auch bei Kerbachs leichtes Entsetzen: J: „Haben die die Arbeiten aus dem Archiv ausgegraben? Aus welcher Zeit kommt das?“ Ähnliche Irritation im Raum der Macketanz-Klasse: Wie kann es sein, dass ein Professor so viel Einfluss auf die Arbeitsweise seiner Studierenden hat? F: „Ein Porträt nach dem anderen, hingebungsvollste Studien - gibts da gar keine Inhalte?“ J: „Naja, es sind halt Studien. Finde ich bei Studierenden total gerechtfertigt. Da gehts erstmal ums Handwerk.“ F: „Aber Kunst ist nicht Handwerk! Man muss nicht zeigen wie schön man malen kann. Man kann auch zeigen, was man im Bauch hat.“

Der virtuelle Raum ist ein gutes Beispiel. Es geht um nichts.

Was in den vorherigen Klassen als zuviel an Richtungsweisung seitens der Lehrenden auffällt, als eine merkwürdige Gleichförmigkeit, schlägt in der Schefflerklasse ins Gegenteil. Hier scheint es, die Kritik fehle. Die Handreichung blieb aus, die helfen sollte, die Arbeiten auf den Punkt zu bringen. Stattdessen schweben sie ohne Anhaltspunkt, wurden nicht weitergedacht und dann umso verlegener im Raum drapiert.
Experimentell geht es in der Sery-Klasse zu, mit verschiedensten Medien und viel Material. Am Raumplan halten wir inne. F: „Komisch, dass die Titel so lang sind. Lange Wörter oder gleich ganze Sätze. Das Abstrakte wird dann doch wieder konkretisiert.“ J: „Ja, aber warum? Um es zu erklären?“ F: „Playing chess with a stone - was hat das mit der Arbeit zu tun?“ J: „na, weil eine barbußige Frau sexy vor dem Schachbrett abgebildet ist. Und darauf liegt ein Stein. Aber es wird nicht die sexistische Darstellung kritisiert. Es geht um nichts. Macht man dann einen ganzen Satz, damit es witzig ist?“ F: „Ja. Um die Leute abzuholen. Wuffilonium Hundekotbeutelspender, das ist ein gutes Beispiel für einen Titel, um die Leute abzuholen. Auch der virtuelle Raum ist ein gutes Beispiel.“ Der virtuelle Raum, den sich Janek Zemke gebaut hat, als eine eigene Ausstellung in der Ausstellung, ist aufwendig und völlig witzlos. Per Maus und Tastatur kann man sich durch eine "Ausstellung" bewegen, in der nichts ausgestellt wird. Es gibt nichts zu sehen, nichts zu erleben. Das Drumherum ist auch schon alles. Das ist exemplarisch für die Leere vieler dieser Arbeiten. Bei den Bildhauern an der Pfotenhauerstraße ging es mir ähnlich. Kaum etwas, das mich aufmerken lässt, außer dem Wunsch, zu verstehen, woher diese Leere kommt. Kürzlich habe ich von einer Ausstellung berichtet mit den Worten „cool und zeitgenössisch“ - genausogut hätte ich sagen können: hohl. Ist es das, was unsere Zeit ausmacht?

Dann aber haben wir im Hinterzimmer ein gemeinsames Erleben

Es gab eine Arbeit zwischen dem Honerthaus und dem vorderen Bildhauerei-Riegel, die genau dies vor Augen führt. Ich weiß nicht, wer diese bemerkenswerte Arbeit gemacht hat (bitte melden!), aber sie ist die einzige, die dieses Jahr auf der Pfote etwas in mir ausgelöst hat. Zu sehen sind drei auf Fahnenmasten gezogene monochrome Flaggen, schwarz, rot, gelb. Hintereinanderweg die drei Deutschlandfarben im Wind, kaum wehen sie - sie haben keine Angriffsfläche: Die Mitte wurde rausgeschnitten.
Das könnte ein treffendes Bild sein für unsere Gesellschaft und ihre (d.h. unsere) Kunst. Das Gemeinschaftliche fehlt. Wenn der deutsche Zusammenhalt nurmehr besteht, wo man zusammen Geld machen kann, prischt in diese Leerstelle die AfD, das ist so verwunderlich nun auch wieder nicht. Wo sollen die Besucher von außerhalb andocken?
Nein, ich fordere nicht, den intellektuellen und ästhetischen Anspruch zu senken. Es geht darum, nicht ausgrenzend zu sein. Die Kunst, die ich in letzter Zeit beobachte - nicht nur in Kunstakademien - ist sich ihrer ausgrenzenden Haltung viel zu wenig bewusst. Wenn Kunst als etwas selbstverständliches angesehen wird, das nunmal zur bürgerlichen Kultur gehört, bekommt sie Narrenfreiheit im negativen Sinn. Sie wird zur Eintagsfliege, zum „Irgendwas muss halt gemacht werden“. Was brennt da unter den Nägeln? Was tut weh, was liegt am Herzen?

Man kann auch zeigen, was man im Bauch hat.

Wie erfrischend war da die Schau der Erstsemester im Feldbaueratelier. Die Erstis, da sind wir uns einig, sind wieder das Highlight auf der Jahresausstellung. Ihre Arbeiten sind vielseitig, unterschiedlich gut, oft skizzenhaft, aber bis obenhin voller Herzblut.
„Magst du Winter?“ wird repetitiv gefragt im Film von Jinyoung Lim. Zum Video gehört ein mit dem Kopf begehbares Objekt; ein von innen mit Spiegelscherben gespickter Zylinder, in den man von unten eintauchen kann. Die Kälte, die Einsamkeit in einem fremden Land und das Zurückgeworfensein auf eine fragmentierte Identität sind mit beidem eindringlich sichtbar gemacht. Die sich im Film überlagenden Einstellungen von Winterlandschaft und einzelnen Menschen in dem ausgestellten Spiegel-Kopfraum münden schließlich in ein geschriebenes „Ich hasse es.“ Müsste es nicht heißen „ich hasse ihn“ - den Winter? Ob ein Fehler oder bewusst eingesetzt ist egal. In dieser Abweichung schlägt das Fazit noch zerschmetternder ein und gibt einen sehr persönlichen Einblick in die Not des/r Fremden in einem kalten Land - eine „Winterreise“ unserer Generation.

Und nun, zuletzt, das Schokoladeneis: Den Trickfilm von Si Cheng habe ich mir für den Schluss aufgehoben - darüber muss einfach mit besonderer Aufmerksamkeit berichtet werden. Wie gekonnt ist der Film dirigiert und umgesetzt! Mit der Protagonistin verfolgen wir einen Abfolge von Tagen, dargestellt in unterteilenden Kapiteln (Tag 1/ Tag 2/ Tag 3, angekündigt in lateinischen Lettern und in Chinesisch). An Tag 1 werden die monotonen Tätigkeiten in einem abgeschlossenen Raum eingeführt: das Handy laden, den Wellensittich füttern, Musik am Computer hören, Salzbrezeln essen, Blumen gießen, sich im Spiegel ansehen. Schließlich wird die Türklinke gedrückt, die Person, die niemals ganz zu sehen ist, verlässt das Haus.
Eine Szene geht in die andere über, der Wechsel der Tätigkeiten und Aufmerksamkeiten ist intuitiv verständlich. Einmal leitet ein Krächzen den Schnitt zum Vogelbauer ein, dann wird die Bewegung des Stecker-Einsteckens aufgenommen im Aufklappen des PCs. In den Bewegungen jedoch liegt eine Schwere und Trostlosigkeit, die nicht zu enden scheint. Form und Rhythmus der Zeichnungen spiegeln in ihrer Nüchternheit die extreme Isolation, alles kostet Unmengen von Kraft. Ja, es geht um Depression.
An Tag 2 ist der Ablauf fast gleich, aber schon werden Dinge verwechselt. Das Handy kommt aus der Salzbrezelpackung, statt dem Telefon landet das Knabberzeug in der Hosentasche. Tag 3, der auch Tag 15 oder 115 sein könnte, führt schließlich die Vertauschung der einzelnen Dinge und Wahrnehmungen ins Phantastische. Die rote Farbe kommt ins Spiel, vielleicht immer dort, wo Innen und Außenwelt durcheinander geraten. Nichts mehr passt zusammen, alles gleitet aus der Hand. Im Käfig wohnt nicht der Wellensittich, sondern die Zimmerpflanze, das Gesicht im Spiegel ist ein Vogel, und als der Blick vor dem Vogelkäfig zu Boden sinkt, haben die Schuhe der Protagonistin die Brezeln zertreten. Das alles passiert ohne viel Aufhebens und doch ist das gelähmte Entsetzen spürbar.

Ich erinnere mich an lose Sätze aus Handkes Gedicht „Die verkehrte Welt“ (in: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt): „Eingeschlafen wache ich auf: Ich schaue nicht auf die Gegenstände und die Gegenstände schauen mich an; Ich bewege mich nicht und der Boden unter meinen Füßen bewegt mich; (…) Ich gehe zum Fenster und werde geöffnet. Aufgestanden liege ich da: Ich schlage die Augen nicht auf, sondern die Augen schlagen mich auf; (…) Ich gehe zur Tür und die Klinke drückt mich nieder. (…)“

Schließlich schafft es die Protagonistin, das Haus zu verlassen und wahrscheinlich in die Kunstakademie zu gehen. Wieder ein Tag. Es gibt Hoffnung.

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